"Zinsen in Europa dürften länger auf niedrigem Niveau verharren"

John Greenwood
John Greenwood(c) Invesco
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Schottland könne sich die Trennung von Großbritannien gar nicht leisten, sagt Invesco-Chefvolkswirt John Greenwood. Italiens Bankensektor dürfte von einer neuen Krise verschont bleiben.

Der Volkswirt John Greenwood gilt seit vier Jahrzehnten als einer der führenden Asienexperten. Der Chefökonom der US-Fondsgesellschaft Invesco war lange Zeit Berater der Regierung in Hongkong. Der Schotte ist im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute nicht der Meinung, dass Schottland eine Abspaltung von Großbritannien und ein Verbleib in der EU guttäte.

Die Presse: Herr Greenwood, noch im Juni löste das Brexit-Votum große Turbulenzen an den weltweiten Märkten aus. Aber genauso rasch hat sich die Aufregung wieder gelegt. War's das schon, oder müssen wir uns auf weitere Turbulenzen gefasst machen?

John Greenwood: Tatsächlich wird man die Nachwehen nur schrittweise spüren. Allein die Austrittsverhandlungen dürften mindestens zwei Jahre dauern, es können ja nicht alle Themen zeitgleich abgehandelt werden. Eine ähnliche Situation erlebte ich 1982. Damals startete Großbritannien intensive Verhandlungen mit China über die Zukunft Hongkongs.

Aber Hongkong kam doch erst 1997 zurück zu China.

Ja, aber die Verhandlungen starteten gut 15 Jahre vor der Übergabe an das Reich der Mitte. Und jedes Mal, wenn die Regierungen nach den Verhandlungen vor die Presse traten, schnellten die Märkte entweder heftig nach oben oder nach unten. Ähnlich könnten auch jetzt die Schwankungen nach jedem dieser Treffen zunehmen. Das gilt ebenso für Währungen, wobei vor allem das Pfund weiter abwerten dürfte.

Das würde die Importe nach Großbritannien zwar weiter verteuern, allerdings ist das Land doch relativ energieautark aufgrund seiner Ölvorkommen in der Nordsee.

Die Glanzzeiten großer Vorkommen sind aber längst vorbei, Großbritannien muss inzwischen eine Menge Rohstoffe importieren. Das ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass ich nicht der Meinung bin, dass sich Schottland von Großbritannien abspalten wird. Schließlich leidet die Region noch viel stärker unter den sinkenden Öleinnahmen und kann sich die Unabhängigkeit allein aus diesem Grund kaum leisten.

Allerdings wird Europa gerade auch von anderen Problemen heimgesucht. Ich denke da an Italiens und Spaniens Bankensektor, deren hohe Zahl an Problemkrediten für Verunsicherung sorgt.

Allein in Italien betragen die faulen Kredite fast 200 Milliarden Euro, in Spanien gut 154 Milliarden Euro. Mit einer Krise wie 2008 oder 2011 rechne ich aber dennoch nicht. In den seltensten Fällen war es die Kreditseite der Banken, die zu einer Krise führte. Problematisch wird es vielmehr dann, wenn den Instituten plötzlich Liquidität entzogen wird. Dazu muss man sich die Finanzierungsstrukturen näher ansehen. Heute refinanzieren sich die Banken großteils über Einlagen kleiner Sparer, eine stabile Basis, solange es keinen Banken-Run gibt. Anders war es in den Krisenjahren. Damals hatten sich die Banken vor allem gegenseitig Geld für Refinanzierungen geborgt. Als dann die allgemeine Marktverunsicherung zunahm, zogen deutsche und französische Banken ihr Geld rasch von den Instituten in den Peripherieländern ab. Das löste in Folge auch die Krisen aus.

Einige Ökonomen hätten ja ein probates Mittel, um die kleinen Sparer davor zu bewahren, ihr Erspartes abzuheben. Was halten sie von der Diskussion rund um die Bargeldabschaffung?

Ich gehe nicht davon aus, dass Bargeld abgeschafft wird, schon allein, weil der Dollar und der Euro auch außerhalb dieser Regionen als Zahlungsmittel verwendet werden. Allein die 100-Dollar-Note sieht man in den USA kaum in Umlauf, obwohl sie den größten Anteil an den Dollarnoten ausmacht. Vielmehr wird damit im Ausland bezahlt. Und in Europa hat die Abschaffung der 500-Euro-Note zwar für Wirbel gesorgt. Das ist aber nicht der Anfang vom Ende des Bargelds. Vielmehr soll damit die Schattenwirtschaft eingedämmt werden.


Auch die EZB möchte ihr Anleihekaufprogramm womöglich im kommenden März eindämmen. Droht ein Bond-Crash, wenn die EZB als großer Käufer wegfällt?

Ich rechne eher mit einer Verlängerung des Anleihekaufprogramms. Denn das Wachstum wird nicht wie erhofft anziehen. Die Zinsen in Europa dürften jedenfalls noch länger auf einem historisch niedrigen Niveau verharren, auch wenn sie vermutlich nicht noch tiefer sinken werden. In den USA könnten die Anleiherenditen hingegen mit der nächsten Zinserhöhung steigen. Diese dürfte schon im Dezember erfolgen. Von steigenden Zinsen kann man, ein wenig zeitverzögert, etwa mit variabel verzinsten Anleihen profitieren. Hier werden die Kupons entweder quartalsweise oder halbjährlich angepasst. Grundsätzlich sollten Anleger mehr den Kapitalerhalt und weniger den Zinsertrag im Fokus haben, allein das ist im aktuellen Umfeld schwierig genug.

ZUR PERSON

John Greenwood

ist Chefökonom bei Invesco. Seine Karriere begann 1970 bei der Bank of Japan. Vier Jahre später wechselte er zur US-Fondsgesellschaft Invesco. 1983 schuf der Asienexperte die Idee eines Wechselkursregimes, zur Stabilisierung des Hongkong-Dollar. [ Invesco ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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