Der Angstgegner aus Amerika

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Große und kleine Händler fürchten die digitale Dominanz von Amazon. Aber sie könnten Glück haben. Wie es aussieht, kommen auch Onlineriesen nicht ohne lokale Partner aus.

Wer am heutigen Sonntag noch einkaufen will – und mehr sucht, als die Tankstelle nebenan bietet –, hat eigentlich nur eine Chance: das Internet. Hier gibt es keinen Ladenschluss und keine Warteschlangen. Die guten Ratschläge, die früher der nette Händler gab, liefert ein Algorithmus, der gern für uns entscheidet, was wir als Nächstes kaufen wollen. Dieses Service macht sich bezahlt. Amazon, unumstrittener König der Onlinehändler, dürfte heuer in den USA erstmals mehr Mode verkaufen als Langzeitspitzenreiter Macy's. Auch in Österreich ist der amerikanische Konzern im Netz eine Klasse für sich. Das Unternehmen heimste im Vorjahr zwei von drei Euro Umsatz der zehn größten Onlinehändler ein.


Schuhe, Streaming und Salat

Auf der anderen Seite stehen viele kleine und größere Geschäfte, die in den vergangenen Jahren zugesperrt wurden. Egal, ob es einen Buchhändler oder ein Elektrogeschäft erwischt hat, der Schuldige war schnell gefunden: Angstgegner Amazon. Kein Wunder, dass die heimischen Lebensmittelhändler unrund werden, wenn Amazon verkündet, ab diesem Jahr in Deutschland frischen Salat, Fleisch und Milch liefern zu wollen. Der Schritt von Deutschland nach Österreich wäre nicht groß. So ist es wohl kein Zufall, dass die zwei größten Lebensmittelhändler vergangene Woche ihr eigenes Onlinelieferservice forciert haben. Sie treten die Flucht nach vorn an, bevor Amazon beginnt, sich in ihrem Revier umzusehen.

Aber ist die Sorge der heimischen Händler vor dem Rivalen aus dem Netz wirklich berechtigt? Noch sind die 550 Millionen Euro, die Amazon in Österreich umsetzt, nur ein Bruchteil dessen, was der Handel in Summe erwirtschaftet. „Amazon wird im Handel nicht die Weltherrschaft an sich reißen“, sagt der Handelsexperte Peter Schnedlitz.

Seine These: Es gibt eine natürliche Grenze, die der Onlinehandel in Österreich nicht ohne Weiteres überspringen wird: Bei 15 Prozent sei Schluss. Das ist dreimal so viel wie heute und etwa der Anteil, den früher der Versandhandel innehatte. Um den stationären Handel noch stärker zu verdrängen, müsste das Produkt, das man Sonntagmittag im Internet bestellt, auch am Sonntagnachmittag zu Hause ankommen. Je näher die Internethändler ihren Kunden kommen wollten, desto ähnlicher müssten sie dem stationären Handel werden. „Amazon wird nie frischen Salat aus dem Zentrallager in Dresden in ein steirisches Dorf liefern“, so der Ökonom. Stattdessen ist der US-Riese auf Kooperationen mit lokalen Händlern angewiesen. In Großbritannien musste sich Amazon mit Morrisons, der viertgrößten Supermarktkette, verbünden, um frische Lebensmittel liefern zu können.

Amazon ist kein Einzelfall. Auch der deutsche Onlineschuhhändler Zalando hat bereits die Erfahrung gemacht, dass ohne kleinteilige regionale Strukturen nicht alles möglich ist. In Berlin bietet Zalando seinen Kunden ein spezielles Service: In nur zwei Stunden sollen online bestellte Schuhe beim Kunden sein. Möglich ist das nur dank einer Kooperation mit lokalen Schuhhändlern. Kommt eine Bestellung, sucht Zalando in deren Lagerbeständen nach dem passenden Paar und leitet den Auftrag an den nächstgelegenen Händler weiter. Er macht das Geschäft und erhält einen Aufpreis für die Lieferung. Für Zalando bleibt vor allem gute Werbung.


Wandlung der Onlinehändler

Aber Zalando ist mit einem Börsenwert von neun Milliarden Euro nicht umsonst das wertvollste deutsche Handelsunternehmen. Zalando hat das Stadium des reinen Onlinehändlers längst hinter sich gelassen und entwickelt sich zum Technologieanbieter. 2000 Entwickler sollen bis Jahresende für Zalando programmieren. Ihre Apps und Programme bietet das Unternehmen Markenherstellern an, die sich so ohne große Mühe Flagship-Stores im Netz bauen können. 2000 haben dieses Angebot bereits genutzt, und Zalando überlegt, das Tool Firmen aus anderen Branchen zu verkaufen. Auch Amazon versteht sich selbst eher als Infrastrukturanbieter denn als reiner Händler.

Die großen Herausforderer aus dem Netz entwickeln sich also zusehends zu Partnern und digitalen Multiplikatoren für den lokalen Handel. Um zu überleben, werden sich die beiden in Zukunft noch enger verzahnen. Natürlich ist die Verhandlungsmacht von Amazon groß. Aber das Internet braucht reale Geschäfte ebenso wie umgekehrt. Denn auch wer lieber zu Hause shoppt, holt sich den Gusto immer noch beim Einkaufsbummel auf der Straße.

In Zahlen

550Millionen Euro

Umsatz hat Amazon im Vorjahr in Österreich erwirtschaftet. Das sind zwei Drittel des gesamten Umsatzes der Top Ten unter den Onlinehändlern.

15Prozent

Marktanteil wird der Onlinehandel in Österreich maximal erreichen, schätzt WU-Ökonom Schnedlitz. Das ist dreimal so viel wie heute.
Reuters

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2016)

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