Wells Fargo: Der gefallene Musterschüler

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US-BANKING-CONSUMER-WELLSFARGOAPA/AFP/FREDERIC J BROWN
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Der US-Bankkonzern Wells Fargo galt als Musterkind einer ramponierten Branche. Illegale Verkaufspraktiken brachten eine saftige Strafe und wütende Angriffe im Kongress.

Im Jänner war die Welt für John Stumpf noch in Ordnung. Die renommierte Finanzinformationsfirma Morningstar hatte den 63-jährigen Vorstandschef von Wells Fargo soeben zum CEO of the Year ernannt. „Er hat die Bank durch eine für die Branche schwierige Zeit geführt und dabei einen Bogen um Aktivitäten gemacht, die Gewinne vor die Kunden stellen“, lautete die Begründung.

Heute klingt dies wie eine zynische Pointe. Denn Wells Fargo, im Jahr 1852 von den American-Express-Gründern Henry Wells und William Fargo eröffnet, steckt in einer enormen, selbst verschuldeten Krise. Millionen an Bußzahlungen für betrügerische oder zumindest schwer fahrlässige Geschäftspraktiken im Umgang mit Kleinkunden musste die Bank mit Sitz in San Francisco bereits bezahlen. Vorstandschef Stumpf wurde dieser Tage in Washington im Senat und im Abgeordnetenhaus stundenlang in die Mangel genommen. „Haben Wells-Fargo-Angestellte von einer Million oder zwei Millionen Kunden gestohlen, ja oder nein?“, erzürnte sich der republikanische Kongressmann Sean Duffy aus Wisconsin am Donnerstag. Stumpfs betroffene Antwort: „In manchen Fällen haben sie das getan.“


Zwei Millionen Phantomkonten.
Doch nicht nur in manchen Fällen haben Wells-Fargo-Filialangestellte beim Versuch, hohe Verkaufsziele zu erreichen, um Boni zu verdienen, gegen die Interessen ihrer Kunden gehandelt. Allein seit 2011 eröffneten sie rund zwei Millionen Konten, indem sie heimlich kleine Guthabensbeträge von Kundenkonten kurz abzweigten. Diese Phantomkonten bestanden nur so lange, wie es für ihren Eintrag in die firmeninterne Statistik und die Anrechnung auf die Verkaufszielvorgaben nötig war. Dann floss das Geld ebenso unbemerkt zurück. Manche Filialmitarbeiter gingen noch weiter. Sie bestellten, erneut ohne Wissen der jeweiligen Kunden, für sie Kreditkarten, in Summe eine halbe Million. US-Zeitungen berichteten von Kunden, die plötzlich ein halbes Dutzend unbestellte Zahlungskarten im Briefkasten fanden. Einfach ignorieren, war der Rat unter der Wells-Fargo-Kundenrufnummer. Ein teurer Rat: Für die Karten fielen nach einiger Zeit Gebühren an. Blieben sie unbezahlt, wurde die Forderung automatisch an eine Inkassofirma überwiesen. Das wirkte sich fatal auf den Credit Score, also die Bonität, der Kunden aus. Wenn der sich verschlechtert, werden die monatlichen Zinszahlungen für die Hypothek oder das geleaste Auto plötzlich teurer oder neuer Kredit unerschwinglich.

Schon vor drei Jahren flog diese rechtswidrige Praxis auf. Doch erst nach langen Verhandlungen mit der Justizbehörde Kaliforniens und dem Consumer Financial Protection Bureau (CFPB), der US-Bundesbehörde zum Schutz der Verbraucher in Finanzfragen, lenkte Wells Fargo ein. In einer außergerichtlichen Einigung akzeptierte die Bank eine Buße von 185 Millionen Dollar (165 Mio. Euro) und gelobte, den Schaden ihrer Kunden wiedergutzumachen. Rund 5300 Mitarbeiter, die an solchen Malversationen beteiligt waren, sind mittlerweile gekündigt oder entlassen worden (insgesamt hat Wells Fargo rund 250.000 Angestellte).

Doch gegessen ist die Sache damit für Stumpf noch lange nicht. Denn offen ist weiterhin die Schlüsselfrage: Wie konnten sich mehr als 5000 einfache Mitarbeiter in derselben Art von Trickserei ergehen, ohne dass das Management davon Wind bekam? Oder wurde diese Praxis stillschweigend von oben abgesegnet?


Glanzkarriere am Tiefpunkt.
Stumpf verzichtete jedenfalls auf Aktienoptionen im Wert von rund 41 Millionen Dollar: Das entspricht einem Viertel seiner gesamten in 34 Jahren bei Wells Fargo erarbeiteten Einkünfte. Carrie Tolstedt, die für den Privatkundenbereich zuständige Vorständin, trat im Juli früher als geplant in den Ruhestand. Ihre Abfertigung von 125 Millionen Dollar hatte für einen Aufschrei gesorgt, auch sie wurde vorerst um 19 Millionen Dollar beschnitten.

Für Stumpf, der als eines von elf Bauernkindern in einem keine 900 Seelen zählenden Weiler in Minnesota zur Welt gekommen war und sich bis zu seiner Heirat das Schlafzimmer mit seinen Brüdern teilen musste, ist das ein Tiefschlag einer bemerkenswerten Laufbahn. Mit mehr als 250 Milliarden Dollar Börsenwert war Wells Fargo heuer erstmals das wertvollste Geldinstitut der USA. Die Bank, seit Mitte 2007 von Stumpf geführt, konzentriert sich auf das Einzelkundengeschäft und hält sich von riskanten Spekulationsspielen an der Wall Street fern. Es entsteht der Eindruck, dass Stumpf nun besonders hart kritisiert wird, weil Wells Fargo so ein Vorzeigemodell für die angeschlagene Branche ist.

Und mancher Kongressabgeordnete wirkt bei näherer Betrachtung nicht sehr glaubwürdig als Kritiker gewissenloser Finanzkonzerne. Sean Duffy, der erwähnte republikanische Jungstar etwa, agitiert seit Jahren gegen das CFPB. „Finanzdienstleister, die einen mächtigen Ombudsmann suchen, haben ihren Mann gefunden“, bejubelte ihn im September vorigen Jahres der Finanz-Lobbyverband IA Institute.

In Zahlen

5300 Mitarbeiter waren seit mindestens 2011 an rechtswidrigen oder zumindest grenzwertigen Praktiken zur Erreichung von Verkaufszielen beteiligt. 185 Millionen Dollar Buße musste Wells Fargo für diese Missstände zahlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2016)

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