Der ehemalige EZB-Chef Jean-Claude Trichet gibt zu, dass seine „harschen Briefe“ an einige EU-Regierungen zur Zeit der Krise von den Verträgen nicht vorgesehen seien. Der Euro sei aber gestärkt aus der Krise hervorgegangen.
London. Der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank EZB Jean-Claude Trichet hat die Schaffung des Postens eines europäischen Finanzministers angeregt. Außerdem plädiert er dafür, die Macht des EU–Parlaments auszubauen.
„Speziell nach der britischen Entscheidung, die EU verlassen zu wollen, wäre eine solche Reform immer wichtiger“, sagte Trichet in einem ausführlichen Interview mit dem Thinktank Official Monetary and Financial Institutions Forum (OMFIF). Sein Gesprächspartner war der Finanzexperte David Marsh, Direktor des OMFIF und Autor des Standardwerks „Der Euro“. Bezüglich seiner Vorschläge sei er sich aber bewusst, dass diese derzeit kaum umsetzbar wären, sagte Trichet. Er spricht deshalb von einem Zeitrahmen von zehn bis 15 Jahren. „Ich unterschätze nicht die politischen Schwierigkeiten. Es brauchte Änderungen der EU-Verträge.“
Trichet kritisiert in diesem Zusammenhang auch sein Heimatland Frankreich: In den 1990er-Jahren sei Deutschland zu einer deutlich stärkeren politischen Integration bis hin zu einer politischen Union bereit gewesen, aber Paris habe damals gebremst. „Frankreich war vorsichtiger und zurückhaltender und hat damals zumindest zum Teil eine ähnliche Nähe zur Souveränität gezeigt wie etwa Großbritannien.“
Briefe an Spanien und Italien
Im Bezug auf jene Briefe, die Trichet im Vorfeld der europäischen Schuldenkrise an Regierungschefs einzelner Mitglieder geschickt hatte, gestand er in dem aktuellen Interview ein, dass dieser Schritt nicht von den EU-Verträgen gedeckt gewesen sei. Dementsprechend bereue er nicht, sich nicht noch klarer geäußert zu haben, so Trichet: „Vergessen Sie nicht, dass gar nicht in den Verträgen vorgesehen ist, dass wir solche Empfehlungen gegenüber einzelnen Ländern aussprechen.“
Er habe es aber als seine Pflicht betrachtet, in Zeiten akuter Bedrohungen, deutliche Warnungen abzugeben. Einzelne Regierungen seien damals „nah an einem plötzlichen Ende ihrer Finanzierung“ gestanden. Soll heißen: Die Länder hätten auf den Märkten keine Kredite mehr erhalten. Er habe diese Briefe in „entscheidenden Momenten“ an die Regierungen von Irland, Spanien und Italien geschrieben.
Die Frage nach einem möglichen Auseinanderbrechen der Eurozone verneinte Trichet: „Es ist in den Verträgen nicht vorgesehen, dass ein Land die Eurozone verlässt. Aber es ist schon klar, dass jedes Land zu jeder Zeit die strategische und politische Möglichkeit hat zu gehen. Ich habe es aber immer so gesehen, dass der Euro viel stärker und widerstandsfähiger ist, als die meisten Beobachter außerhalb Europas glauben wollen.“ Neun Jahre nach dem Kollaps von Lehman Brothers seien immer noch alle Länder im Euro dabei. Und vier neue hinzugekommen. Der Euro habe auch weiterhin eine wichtige Rolle als globale Reservewährung zu spielen, so Trichet.
„Der Euro wird eine wichtige Stütze des multipolaren internationalen Geldsystems bleiben. Aber ich rufe nicht zu irgendeiner Art von Kampf gegen den Dollar oder andere Währungen auf“, so Trichet.
Ein solcher Kampf wäre lächerlich und gefährlich. „Wenn wir eine abrupte Stärkung der Rolle des Euro auf einem globalen Level sehen würden, könnte das katastrophale Folgen haben. Denn die plötzliche starke Aufwertung des Euro könnte großen Schaden verursachen.“ (jil)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2016)