Nafta: Viel Lärm um nichts

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US-NAFTA-ALENA-CLINTONPAUL J. RICHARDS / AFP / picturedesk.com
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Von Ceta-Kritikern wird das Freihandelsabkommen Nafta oft als Negativbeispiel genannt. Dabei wurden bei diesem die einstigen Sorgen kaum bestätigt. Die Hoffnungen aber auch nicht.

Das Freihandelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada nahm am Freitag eine wichtige Hürde: In Belgien legte das wallonische Regionalparlament zwar ein Veto ein. Doch in Österreich einigte sich die SPÖ nach langem Hin und Her auf ein „Ja“ – nachdem zuvor von der EU in dem sogenannten Beipackzettel noch einmal klargestellt worden war, dass Ceta weder ein Land dazu verpflichten kann, seine Wasserrechte zu privatisieren, noch dazu, Arbeits- oder Umweltstandards zu verschlechtern. Die besonders hierzulande zahlreich vertretenen Ceta-Kritiker wird das jedoch kaum besänftigen. Sie stützen ihre Ablehnung ja eher auf Bauchgefühle denn auf harte Fakten.

Daher lohnt es sich, eines der Argumente der Ceta-Kritiker näher anzusehen. Und zwar jenes, dass ein Blick nach Nordamerika zeige, welch zerstörerische Kraft Freihandelsabkommen innewohnt, weil dort Nafta seit 22 Jahren sein Unwesen treibe. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen trat am 1. Jänner 1994 in Kraft und reduzierte einen Großteil der Handelbarrieren zwischen Kanada, Mexiko und den USA. Es gilt als Blaupause für bilaterale bzw. regionale Handelsabkommen.


Mehr Handel. Da seit Inkrafttreten mehr als zwei Jahrzehnte vergangen sind, gibt es auch eine Unmenge an ökonomischen Studien zu den Auswirkungen von Nafta. Ein Großteil davon wurde vom Congressional Research Service des US-Parlaments in einer Metastudie zusammengefasst. Die Ökonomen kommen demnach in einer Frage zu einem klaren Schluss: Nafta hat den Handel in Nordamerika deutlich beschleunigt. So steigerte sich das Handelsvolumen der USA mit den beiden anderen Ländern seit Inkrafttreten von Nafta von einst 300 Mrd. Dollar pro Jahr auf zuletzt knapp 1,2 Billionen Dollar. Dieser Anstieg war somit wesentlich stärker als jener beim US-Handel mit der restlichen Welt, so die Autoren der Metastudie.

Allerdings gibt es hier eine große Ausnahme: China. Da just in den 22 Jahren seit dem Abschluss von Nafta China seinen wirklichen großen Sprung nach vorn machte und zur Werkbank der Welt aufstieg, veränderten sich auch die globalen Handelsströme und die Wettbewerbsfähigkeit regionaler Industrien deutlich. Es gebe zu wenig genaue Daten, um diesen Effekt aus der Beschreibung der Folgen von Nafta herauszurechnen, schreiben die Ökonomen.

Daher sei es auch schwierig, die Auswirkungen von Nafta auf Wachstum und Beschäftigung eindeutig zu beschreiben. Das renommierte Council on Foreign Affairs (CFR) kommt dennoch zu dem Schluss, dass Nafta auf die USA einen positiven BIP-Effekt von einem halben Prozent hatte. Das entspräche rund 80 Mrd. Dollar. Auch in Mexiko habe es demnach einen kräftigen Anschub für die Wirtschaft mit steigender Produktivität gegeben.

Doch was haben die Menschen davon gehabt? Laut Kritikern nichts. Zwei Industrien stehen meist im Mittelpunkt der Betrachtung: Die US-Autoindustrie und die mexikanische Landwirtschaft. In ersterer gingen laut CFR 320.00 Jobs seit 1994 verloren, während in Mexiko 430.000 neue geschaffen wurden. US-Gewerkschafter sehen Nafta daher als Jobvernichter an. Anders die Ökonomen: Sie argumentieren, dass viele der nach Mexiko ausgelagerten Jobs Zwischenschritte in der Produktion beträfen, die Endproduktion aber wieder in den USA erfolge. In Summe sei die US-Autoindustrie somit wettbewerbsfähiger gegenüber asiatischen Konkurrenten geworden.

Aber auch in Mexiko gingen Jobs verloren – in der Landwirtschaft. Die Maisbauern hätten gegen die industrialisierten US-Farmer keine Chance gehabt, weshalb eine gute Million Menschen das Dasein als Bauern habe aufgeben müssen, so die Kritik. Zum Teil stimmt das sicherlich. Entscheidend für die Jobverluste dürften jedoch die Landreformen in Mexiko in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren gewesen sein, so die Ökonomen.

In Summe kommen die Studien zu dem Schluss, dass Nafta einzelnen Sektoren zwar deutliche Veränderungen brachte, jedoch die Zahl der durch den zusätzlichen Handel geschaffenen Jobs leicht überwiegt. „Die positiven Effekte des vermehrten Handels werden aber oft nicht wahrgenommen, weil die Nachteile sich auf wenige Bereiche konzentrieren“, heißt es beim CFR. Die Sorgen wurden somit nur kaum bestätigt, die Hoffnungen jedoch auch nicht. So sind etwa die Einkommensungleichgewichte zwischen Mexiko und den USA durch Nafta anders als erwartet nicht geringer geworden.


Enteignung. Und was ist mit den Schiedsgerichten? Kanada wird aufgrund von Nafta gern als das am häufigsten verklagte Land der Welt bezeichnet. 150 Mio. Dollar habe der Staat seit 1994 vornehmlich an US-Unternehmen zahlen müssen. Das stimmt, allerdings stammen 130 Mio. davon aus einem einzigen Fall, und zwar von jenem des Zellstoffproduzenten Abitibi-Bowater.

Die Firma schloss aufgrund von wirtschaftlichen Problemen am 4. Dezember 2008 ein Werk in Neufundland. Zwölf Tage später beschloss die Regionalregierung von Neufundland, sämtliche Anlagen des Unternehmens sowie die Wald- und Wassernutzungsrechte (für die Stromerzeugung) ohne Entschädigung zu enteignen. Zudem wurde für Abitibi-Bowater per Gesetz der Gang zu regionalen Gerichten blockiert. Der Konzern versuchte in der Folge, auf dem Verhandlungsweg eine Lösung zu finden. Als das nicht fruchtete, klagte es Kanada mittels Nafta-Schiedsgericht auf 500 Mio. Dollar Schadenersatz. In einem Vergleich einigte man sich auf die Zahlung von 130 Mio. Dollar.

Zahlen

300Millionen Dollar betrug das Handelsvolumen der USA mit Kanada und Mexiko im Jahr 1994. Zuletzt waren es knapp 1,2 Billionen.

320tausend Jobs gingen in der US-Autoindustrie seit dem Start von Nafta verloren. Allerdings wurden in Mexiko im selben Zeitraum 430.000 neu geschaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2016)

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