Kein Weg hinauf für Japans Frauen

Tokyo´s Last-Train-Home Culture Under Fire As Abe Backs Women
Tokyo´s Last-Train-Home Culture Under Fire As Abe Backs Women(c) Bloomberg (Tomohiro Ohsumi)
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In keinem entwickelten Land gibt es so wenige Frauen in Management und Politik. Vorkämpferin Kaori Sasaki erklärt: Es liegt an tief verwurzelten Ritualen und Bräuchen.

Wien. Als Kaori Sasaki ihr erstes Kind bekam, baute die Unternehmerin gerade ein Übersetzernetzwerk auf. Also nahm sie ihr Baby ein paar Monate lang mit in die Arbeit und stillte es dort. Das war für japanische Verhältnisse so spektakulär, dass Magazinfotografen ihr Büro stürmten. Aber auch wenn sie heute ihre Arbeitstage um 18.00 Uhr beendet und die Abende ihrer Familie widmet, erregt die Vorkämpferin für eine weiblichere Wirtschaft immer noch großes Staunen: Eine Chefin verweigert sich den Riten einer Gesellschaft, in der Männer für ihre Firma leben und Frauen selten Karriere machen.

In keinem hoch entwickelten Staat ist der Anteil der Frauen in Management und Politik so niedrig wie in Japan. Im aktuellen Global Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums belegt das Land den 101. Platz (von 145). Österreich schafft es dort auf Rang 37 – und liegt damit weit hinter Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Großbritannien und den USA. Was läuft da schief in Nippon? An der Ausbildung kann es nicht liegen: Sie ist bestens, Buben und Mädchen profitieren davon in gleichem Maß. Auch gibt es schon seit 1986 ein Gleichbehandlungsgesetz, das direkte Diskriminierung bei Bewerbungen und beim Gehalt verbietet. Premier Shinzō Abe hat das Thema sogar zur Chefsache erklärt: Durch „Womenomics“ will er die immer weiter klaffende Lücke auf dem Arbeitsmarkt füllen, durch mehr Frauen im Management ungenutzte Potenziale für Innovation und Wachstum entfesseln. Allein: Es rührt sich nichts.

Zwar arbeiten deutlich mehr Frauen als noch vor 30 Jahren. Aber Führungspositionen bleiben für Krawattenträger reserviert: Schon auf der Ebene von Abteilungsleitern und höheren Beamten kommt auf neun Männer nur eine Frau. Ganz oben fehlen die Kostüme fast ganz. Woran liegt es? Sasaki zeichnet im „Presse“-Gespräch das Bild einer Gesellschaft, in der Karrieren so maßgenau auf Männer zugeschnitten sind wie ihre mausgrauen Anzüge. Akademiker heuern eilig bei einem großen Unternehmen an und bleiben dort meist ihr ganzes Arbeitsleben. „Befördert wird nicht nach Leistung, sondern nach Dauer der Zugehörigkeit.“ Abendliche Überstunden gehören dazu und lohnen sich finanziell. Kein Wunder, dass fast alle bis nach acht sitzen bleiben, zumal der Vorgesetzte es auch so hält (und obwohl, wie längst nachgewiesen, dieses Arbeitsethos unproduktiv macht). Auch die Tradition, nach fast jedem Feierabend noch mit den Kollegen essen und trinken zu gehen, bröckelt nur langsam.

Karenz als Karrierefalle

Mit dem letzten Zug geht es zurück zur Familie, die oft schon schläft. Das macht es Frauen schwer. Wer Ambitionen hat, wird mit der ersten Schwangerschaft aus der Laufbahn geworfen. „Es gibt zu viele Gentlemen in Japan“, sagt Sasaki lächelnd. „Sie helfen uns ja so freundlich“, mit langen und gut bezahlten Karenzzeiten. Die Option steht auch Vätern offen, nur zwei Prozent nutzen sie: „Weil sie wissen, dass sie so in eine Karrierefalle tappen.“

Zurück in der Arbeit bleibt den Frauen meist nur ein Halbtagsjob. Krippen und Horte sind Mangelware, es fehlen Zehntausende Plätze. Und auch wer einen ergattert: Die Einrichtungen sperren allerspätestens um 18.00 Uhr. Wer Karriere machen will, ist da noch mitten in der Arbeit. Also bleibt es beim bescheidenen Teilzeitjob. Freilich auch meist bei nur einem Kind. Es ist nur scheinbar paradox: Gerade jene entwickelte Gesellschaft, die Frauen am stärksten noch als Hausfrau und Mutter sieht, leidet unter einer der niedrigsten Geburtenraten der Welt – und schrumpft bedenklich, weil sie noch dazu keine Zuwanderung zulässt.

Warum so wenig Kinder? „Weil die Männer fast nie zu Hause sind, um welche zu zeugen“, Sasaki lacht – und meint es halb ernst. Einen Teil des Dilemmas sieht sie darin, dass „Familie bei uns keinen Wert hat“. Damit wachsen die Jugendlichen auf: Nach der Schule gehen sie in Nachhilfekurse (auch die schlauen), nach dem Kurs in Sportklubs, wo sie selbst am Wochenende und in den Ferien nicht fehlen dürfen. „Da bleibt keine Zeit für die Familie, gemeinsame Abendessen und Urlaube.“ Mit dieser Prägung starten junge Männer ihren Job, und eben deshalb zieht es sie nach der Arbeit kaum nach Hause. Nichts aber ändert sich so langsam wie solche Einstellungen – auch wenn ganz Japan weiß, dass es den Wandel braucht.

ZUR PERSON


Kaori Sasaki ist eine japanische Unternehmerin, Beraterin der Regierung und Autorin. Seit 1996 organisiert sie jährlich Konferenzen für Frauen in der Wirtschaft mit über 1000 Teilnehmern. Am Dienstag hielt sie einen Vortrag am Juridicum in Wien. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. [ Ewoman]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2016)

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