Die langsamste Zinswende aller Zeiten

Die EZB-Zentrale in Frankfurt: Im Dezember könnte sich hier etwas tun. Vor der US-Wahl gab es aber keine Bewegung.
Die EZB-Zentrale in Frankfurt: Im Dezember könnte sich hier etwas tun. Vor der US-Wahl gab es aber keine Bewegung.APA/dpa (Arne Dedert)
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Die EZB bewegt sich vor der US-Wahl keinen Zentimeter. Im Dezember könnte es dann tatsächlich neue Töne geben. Und einen Zinsschritt in den USA. Einen winzig kleinen.

Wien/Frankfurt/New York. Man kann sich die aktuelle Situation der Geldpolitik auch als Mikadospiel, vorstellen, wenn man will. Alle Beteiligten wissen: Um das Spiel weiterzubringen, müssen sie ein Stäbchen rausziehen. Aber wer zu rasch handelt, wer einen Fehler macht, und sei er noch so klein, der verliert garantiert. Denn acht Jahre nach der Finanzkrise herrscht überall auf der Welt noch der geldpolitische Ausnahmezustand. Der Bankier Jacob Rothschild hat es gar das „größte Experiment in der Geschichte der Geldpolitik“ genannt.

EZB-Chef Mario Draghi und seine Kollegen im EZB-Direktorium haben sich am Donnerstag wenig überraschend dafür entschieden, weiter die Finger von den Stäbchen zu lassen. Die Leitzinsen bleiben auf null. Der Strafzins für Banken, die ihr Geld bei der Zentralbank parken, bleibt bei minus 0,4 Prozent. Die Notenpressen laufen mit unveränderter Geschwindigkeit weiter. Monatlich pumpt die EZB rund 80 Mrd. Euro in Staats- und Unternehmensanleihen. Bis Ende März 2017, wenn das aktuelle Programm ausläuft, will man so 1,74 Billionen in die Märkte gepresst haben. Das entspricht in etwa dem Fünffachen der österreichischen Wirtschaftsleistung.

Immerhin: Die von Draghi und Co. herbeigesehnte Inflation regt sich tatsächlich. So ist die jährliche Teuerung in der Eurozone zuletzt auf 0,4 Prozent gestiegen. Das ist zwar immer noch weit entfernt von Idealfall der EZB. Dieser liegt knapp unter zwei Prozent. Aber die Tendenz stimmt wieder. Im September gab es das stärkste Plus seit zwei Jahren. Draghi rechnet mit einem weiteren Anstieg in den nächsten Monaten. Für diese Prognose braucht er keine Glaskugel: Es sind die Energiepreise, die wieder für Bewegung in der Teuerungsstatistik sorgen. Diesmal nicht nach unten, sondern in die andere Richtung. Bis Ende 2018 soll die Inflationsrate dann wieder bei knapp zwei Prozent liegen, so Draghi.

Bis Dezember geschieht nichts

Bei der nächsten Sitzung im Dezember soll eine neue Prognose der EZB-Ökonomen vorgelegt werden. Und erst dann werde man anfangen, über ein langsames Abschmelzen der Anleihenkäufe nachzudenken. Am Donnerstag sei darüber noch nicht mal diskutiert worden, so der Italiener. Doch sei klar, dass die aktuelle ultralockere Linie nicht auf Dauer beibehalten werden könne.

Soll heißen: Die EZB könnte sich im Dezember an ein Stäbchen wagen. Dass sie ein paar Wochen vor der Wahl ums Weiße Haus agiert, war sowieso immer sehr unwahrscheinlich. Aber im Vorfeld der Sitzung wurden die hypernervösen Märkte von Gerüchten durchgerüttelt, die EZB könnte schon jetzt mit dem Aussteig aus dem Geldexperiment beginnen. Die Gerüchte waren allerdings falsch. Genauso falsch wie all die Gerüchte zu einer Fed-Zinsanhebung, die es heuer schon gab.

Wir rekapitulieren: Die US-Zentralbank hat im Dezember 2015 die Zinsen minimal angehoben. Aktuell verharren sie in einem Band von 0,25 bis 0,5 Prozent. Dann gab es wilde Spekulationen. Zuerst hieß es, die Fed werde die Zinswende jetzt rasch umsetzen und 2016 drei bis vier Schritte machen. Dann waren es zwei bis drei. Dann zwei. Dann ein bis zwei. Jetzt ist ein Zinsschritt geblieben. Und der ist nicht sicher.

US-Wirtschaft nicht auf gutem Kurs

Immerhin: Der einflussreiche Fed-Chef von New York, William Dudley, deutete am Mittwoch einen Zinsschritt noch in diesem Jahr an. Nach den Wahlen, im Dezember. Und auch nur, wenn die Wirtschaft „auf Kurs bleibt“. Dann sei ein weiterer Zinsschritt „keine große Sache“. Sein Kollege Robert Kaplan, Chef der Fed in Dallas, klingt weniger überzeugt. Eine Zinswende müsse „schrittweise und vorsichtig“ vonstattengehen, sagte er am Mittwoch. Außerdem würden auf den zweiten Schritt wohl nicht so rasch viele weitere folgen. Er erwartet eine Zinswende, die langsamer läuft als je zuvor in der Geschichte der Fed.

Denn die US-Wirtschaft ist keineswegs auf einem eindeutig guten Kurs. Die Wachstumserwartungen werden derzeit regelmäßig nach unten revidiert. Gleichzeitig bleiben die globalen Märkte massiv abhängig vom US-Dollar als Liquiditätsquelle. Und wie schon Milton Friedman festgestellt hat, sind extrem niedrige Zinsen kein Zeichen von zu viel Geld, sondern ein Zeichen von zu wenig Geld – denn wenn es zu viel Geld gäbe, bräuchte man ja keine niedrigen Zinsen.

Heißt: Die deflationären Kräfte, die die Finanzkrise entfesselt hat, sind keineswegs besiegt. Die Zentralbanken bleiben bei ihrem Mikadospiel übervorsichtig. Bevor sie der Welt den Geldhahn abdrehen, riskieren sie lieber ein Überschießen der Inflation. Die steigenden Energiepreise helfen. Und bis Dezember geschieht erstmal nichts.

AUF EINEN BLICK

Die EZB hat den Donnerstag tatenlos an sich vorbeiziehen lassen. Leitzinsen, Strafzinsen und Gelddruckprogramm bleiben unverändert. Erst im Dezember, nach der Wahl in den USA, will man sich die neuen Daten anschauen und entscheiden, ob man den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik angehen will. Dazu müsste auch die Inflation weiter steigen, wie es allgemein erwartet wird. In den USA, wo der erste und bisher letzte Zinsschritt schon fast ein Jahr her ist, herrscht ein ähnliches Bild: Im Dezember könnte sich etwas bewegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

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