Die verrückte Welt der Nullzinsen

EZB im letzten Tageslicht
EZB im letzten TageslichtAPA/dpa/Frank Rumpenhorst
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Die EZB will ihre Politik der Geldschwemme vorläufig beibehalten. Das gibt den Aktienmärkten noch Luft.

Die EZB hat ihren Leitzins diese Woche nicht nur unverändert belassen, sondern auch zu verstehen gegeben, dass die Welt der Nullzinsen noch sehr lange Bestand haben werde. Und über das so genannte Tapering, das kontrollierte Zurückfahren der Staatsanleihenkäufe zur Liquiditätsversorgung, sei nicht einmal gesprochen worden, hieß es nach der EZB-Sitzung am Donnerstag.

Damit bleibt uns auch die verrückte Welt der negativen Verzinsung sicherer Staatsanleihen bis auf Weiteres erhalten. Verrückt deshalb, weil sie die gewohnte Finanzwelt völlig umdreht.

Beispielsweise bei der Bewertung: Ratingagenturen messen die Schuldentragfähigkeit der staatlichen Emittenten und vergeben danach ihre Bonitätsnoten. Weil Staaten ihre Anleihen normalerweise nicht tilgen, sondern durch die Ausgabe neuer Anleihen refinanzieren, heißt Schuldentragfähigkeit die Fähigkeit, die Zinsen zu bedienen.

Nur: Bei Negativverzinsung zahlt der Emittent de facto keine Zinsen, sondern bekommt welche. Theoretisch müsste man, um die Qualität der Anleihe zu bewerten, also die Bonität der Anleihekäufer klassifizieren. Eine ziemlich verkehrte Welt, oder?

Die aber, wie gesagt, bis auf Weiteres Standard bleiben dürfte. Für Aktionäre, aber auch für Immobilieninvestoren heißt das, dass die Blasen in ihren Märkten weiter aufgepumpt werden. Die Party wird also wohl noch ein bisschen weitergehen.

Allerdings sollten die Eigentümer von zinssensiblen Assets den Markt in nächster Zeit ein bisschen genauer beobachten. Denn was „bis auf Weiteres“ im Zusammenhang mit der EZB-Politik heißt, wurde ja nicht definiert. Und da könnte es im Dezember schon wieder spannend werden. Zum einen wartet die ganze Welt auf das Zinssignal aus den USA, das noch vor Weihnachten kommen könnte. Oder auch nicht, denn in diesem Jahr hat die US-Notenbank ihren angekündigten zweiten Zinsschritt schon mehrmals verschoben.

Zum anderen hat sich auch die EZB ein Hintertürchen offen gehalten: Im Dezember lägen neue Konjunkturprognosen vor, hieß es. Dann werde man sich die Sache noch einmal ansehen. Ein brüskes Ende der bis April 2017 geplanten Anleihekäufe (derzeit 80 Mrd. Euro im Monat) sei aber ebenso wenig wahrscheinlich wie eine scharfe Zinswende in Europa.

Das gibt Aktienanlegern wahrscheinlich noch ein paar Monate Luft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)

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