Harter Brexit: Politik und Banken wetzen Messer

(c) Bloomberg (Chris Ratcliffe)
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Die Regierung droht der EU mit zehn Prozent Firmensteuer, die Finanzbranche mit rascher Flucht.

Wien/London. Großbritannien und Europa stehen vor einem Scheidungskrieg. Das Szenario eines harten Brexit nimmt immer deutlichere Konturen an. Beim EU-Gipfel in Brüssel vorige Woche zeigten sich die Staatschefs entschlossen, in den Verhandlungen mit den Briten kein Rosinenpicken zuzulassen: Wer die Pflichten einer Mitgliedschaft ablehnt, könne nicht mit freiem Zugang zum Binnenmarkt rechnen. Jetzt schlägt London zurück, wenn auch noch inoffiziell. „Wir haben ziemlich gute Karten, die wir ausspielen können, wenn sie uns Schwierigkeiten machen“, zitiert die „Sunday Times“ einen Insider. Konkret geht es um einen Vorschlag von Beratern der Premierministerin Theresa May: Die Unternehmenssteuer soll auf die Hälfte sinken, von 20 auf zehn Prozent, um damit kontinentale Firmen auf die Insel zu locken.

Auf diese Idee kam schon im Juli George Osborne. Aber der mittlerweile ausgetauschte Schatzkanzler drohte nur mit 15 Prozent. Ein Satz von zehn Prozent würde auch das Geschäftsmodell Irlands herausfordern, das mit seinen 12,5 Prozent (samt zahlreichen Sonderdeals und Schlupflöchern) der bevorzugte Sitz großer US-Konzerne für ihr Europageschäft wurde – sehr zum Leidwesen der übrigen EU-Finanzminister.

Mit dieser Drohgebärde will London neue Zölle für britische Waren verhindern und das „Passporting“ bewahren – das Recht von Banken und anderen Finanzdienstleistern der City of London, in der gesamten EU ihre Dienste anbieten zu können.

Wegzug vor Weihnachten

Aber die Branche vertraut offenbar nicht auf die Verhandlungsstärke von Mays Team. Sie droht der Regierung ihrerseits mit einem raschen Wegzug aus Großbritannien. Die Großbanken wollen bereits zu Beginn kommenden Jahres damit anfangen, das Land zu verlassen, schreibt Anthony Browne, Chef des Branchenverbands BBA, im „Observer“. Kleinere Institute hätten es sogar noch eiliger: Sie sollen noch vor Weihnachten beginnen, ihre Koffer zu packen. Auch wenn hier taktische Übertreibung im Spiel sein mag: Es spiegelt die wachsende Angst der Branche vor einem harten Brexit und dem Verlust des Marktzugangs. Gegen dieses Risiko müssen die Banken vorsorgen – besser zu früh als zu spät.

Eleganter können sich ausländische Industriekonzerne gegen die Unsicherheit absichern. Nissan etwa plant Investitionen ins größte britische Autowerk. Aber Firmenchef Carlos Goshn lässt die Entscheidung davon abhängen, ob die Regierung das Brexit-Risiko übernimmt – indem sie ihm Entschädigungen zusagt, für allfällige neue Zölle für Exporte in die EU. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2016)

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