Ökonom Sachs: "Die EU trägt zum Hunger bei"

(c) EPA (Justin Lane)
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Der amerikanische Topökonom Jeffrey Sachs versteht nicht, warum die EU die genetische Manipulation nicht zulässt. Weiters warnt er die Industrienationen davor, ihre Hilfszahlungen an den Süden zu reduzieren.

Amerikanische Topökonomen führen derzeit eine wilde Debatte zum Thema Entwicklungshilfe. Grund für die Aufregung ist das im Frühjahr erschienene Buch „Dead Aid“ der ehemaligen Weltbank-Mitarbeiterin Dambisa Moyo. Sie argumentiert, dass öffentliche Hilfsgelder nichts bringen. Die Industrieländer sollten ihre Zahlungen einstellen, weil hauptsächlich korrupte Regimes davon profitierten („Die Presse“ berichtete).

Jeffrey Sachs ist einer der erbittertsten Gegner dieser These. Er setzt sich seit Jahren für mehr Fördergelder ein und warnt vor dramatischen Folgen, sollte die finanzielle Hilfe gekürzt werden. „Die Presse am Sonntag“ interviewte ihn im Rahmen einer Konferenz zum Thema Lebensmittelsicherheit an der New Yorker Columbia University.

Mehr als 800 Millionen Menschen leben den Vereinten Nationen zufolge in extremer Armut. Sie vertreten die These, dass unter der Prämisse einer richtigen Entwicklungspolitik in 20 Jahren alle Menschen genügend zu essen haben können. Was müssen wir tun?

Jeffrey Sachs: Die Entwicklungspolitik der Industriestaaten muss sich dramatisch ändern. Außerdem müssen mehr Hilfsgelder zur Verfügung gestellt werden. Sonst wird sich die Armut weiter verschlimmern. Das Hauptproblem ist und bleibt die Unterernährung. Im Jahr 2050 werden zwischen acht bis neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Vor allem in Afrika könnte der Hunger noch viel schlimmer werden.

Die EU und die USA liefern Jahr für Jahr Tonnen an Hilfsgütern in Richtung Afrika. Muss die entwickelte Welt noch mehr Nahrung in den Süden schicken?

Ganz im Gegenteil. Genau das ist der absolut falsche Weg. Wir sollten nur sehr wenig Essbares in den Süden liefern, außer natürlich in Ausnahmefällen wie Naturkatastrophen.

Was ist der richtige Weg?

Wir müssen den Afrikanern helfen, ihre eigenen landwirtschaftlichen Flächen produktiv zu nützen. Das beste Beispiel in diesem Zusammenhang ist Getreide. Im Moment kommt der Kontinent Afrika auf eine durchschnittliche Produktion von einer Tonne pro Jahr je Hektar Anbaufläche, obwohl drei bis vier Tonnen locker möglich wären. Ein Übel ist, dass sich die EU verbissen gegen technologischen Fortschritt wehrt.

Wie ist das zu verstehen?

Die EU ist gegen den Einsatz von gentechnisch manipulierten Samen und trägt damit zum Hunger bei. Eines der größten Probleme in Afrika ist die Trockenheit. Wenn man manipulierten Samen anpflanzt, kann dieses Problem gut umgangen werden, weil das Getreide gegen Dürre länger resistent bliebe.

Wenn wir also genetisch manipulieren, wird alles gut und Afrika hungert nicht mehr?

Natürlich reicht das alleine noch nicht. Die westliche Welt müsste auch deutlich mehr Dünger und gute anbaufähige Körner zur Verfügung stellen. Außerdem müssen wir beim Bau von Wasseranlagen helfen.

Das kostet viel Geld.

Ja, aber man könnte auch viel sparen, indem man auf teils unnötige Hilfslieferungen verzichtet. Selbst wenn man die Fördergelder nicht erhöht, könnte einiges besser gemacht werden.

Warum wehrt sich die EU ihrer Meinung nach so vehement gegen Genmanipulation?

Das frage ich mich auch oft. Der wissenschaftliche Beweis, dass genetische Veränderung bei Getreide nicht schlecht ist, ist eindeutig erbracht. Wahrscheinlich wollen die Europäer ihre eigenen Landwirte subventionieren und schützen. Deshalb drohen sie afrikanischen Ländern mit Handelsembargos, falls sie genetisch manipuliertes Getreide erzeugen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Im Rahmen der beiden letzten G20-Gipfel haben die Industriestaaten versprochen, sich verstärkt für den landwirtschaftlichen Fortschritt in Afrika einzusetzen. Man wird sehen, ob das passiert.

Ich bin etwas überrascht. Sie gelten als Ökonom, der stets mehr Hilfsgelder fordert. Nun sagen Sie, dass bei gleichbleibenden Mitteln vieles verbessert werden könnte.

Die Kombination macht es aus. Ich fordere nach wie vor, dass der Westen seine Verpflichtungen erfüllt. Die Rezession dient als Entschuldigung, Hilfsgelder nicht zu überweisen. Seit 2004 versprechen die EU und die USA, pünktlich zu bezahlen, tun es aber nicht.

Ist es nicht verständlich, dass die Industriestaaten in Zeiten der Rezession sparen?

Wenn die EU und die USA nur 0,1 Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung (für die USA wären das beispielsweise 14 Mrd. Dollar, Anm.) an die Hilfsfonds der internationalen Organisationen überwiesen, wären alle Schulden getilgt. Millionen Menschen sterben und hungern, weil die Industrieländer ihre Gelder nicht überweisen.

Nicht alle Ökonomen sind ihrer Meinung. Dambisa Moyo plädiert für die komplette Einstellung von Entwicklungshilfe. Sie meint, dass der größte Teil davon ohnehin nur korrupten Regierungen zufließe.

Das sehe ich völlig anders. Keiner sagt, dass man korrupten Regierungen einfach einen Umschlag mit Geld in die Hand drücken soll. Ich biete spezifische Lösungen an, etwa die Reorganisation der Gelder für bessere landwirtschaftliche Projekte. Moyo bietet überhaupt keine Lösung an. Sie sagt nur, dass es Korruption gibt. Das stimmt zwar, aber Korruption gibt es überall.

Moyo sagt, dass korrupte Regimes mit den Hilfsgeldern das Militär stärkten, um an der Macht zu bleiben, Aufstände zu vermeiden und in Saus und Braus zu leben.

Natürlich riskiert man, dass sich manche Leute etwas abzweigen. Aber die Alternative wäre, nichts zu tun, keine Krankenhäuser zu bauen, keine Landwirtschaft zu ermöglichen und Millionen Kinder verhungern oder an Malaria sterben zu lassen.

Nicht nur konservative Ökonomen wie Moyo kritisieren Ihre Theorien. Auch von linken Protektionisten bläst Ihnen Gegenwind entgegen, weil Sie sich klar für den freien Handel aussprechen.

Dazu stehe ich auch. Bolivien hat den Weg aus der extremen Armut geschafft, indem es sich geöffnet hat, genauso wie die ehemalige Sowjetunion und viele andere. Gerade für kleine afrikanische Länder ist es wichtig, sich zu öffnen, weil die eigene Nachfrage wegen der Armut meist extrem gering ist.

Sie sind mit U2-Sänger Bono und Schauspielerin Angelina Jolie befreundet. Beide setzen sich stark für Entwicklungshilfe ein. Ein PR-Gag oder bringt das wirklich etwas?

Beide sensibilisieren durch ihre Bekanntheit viele Menschen. Bono hat es geschafft, viele Politiker beim Kampf gegen die Armut mit ins Boot zu holen. Das ist kein PR-Gag, denn wir Ökonomen können mit Theorien zwar auf Probleme aufmerksam machen. Aber Bono und Jolie erreichen die Massen.

Zum Abschluss noch eine sehr direkte Frage, die man oft an Stammtischen hört: Warum sollen wir uns überhaupt um die Probleme der südlichen Welt scheren?

Gerade für Europa gibt es dazu eine klare Antwort. Wenn wir die Probleme Afrikas nicht in den Griff kriegen, werden bald deutlich mehr Migranten an die europäische Tür klopfen. Die afrikanische Bevölkerung wird weiter stark wachsen und irgendwann wird sich die EU gegen die Flüchtlingsmassen nicht mehr wehren können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2009)

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