Joseph Stiglitz: "Inflation ist nicht unser Problem"

Joseph Stiglitz
Joseph Stiglitz(c) Michaela Bruckberger
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Nobelpreisträger Joseph Stiglitz gibt den Regierungen Mitschuld an der Wirtschaftskrise: Wer schlechte Regeln aufstelle, bekomme schlechte Ergebnisse. Die Krise wird seiner Meinung nach noch zwei, drei Jahre dauern.

Die Aktienkurse gehen nach oben, US-Banken zahlen ihre Staatskredite zurück – Sie sind trotzdem skeptisch, dass es aufwärts geht. Warum eigentlich?

Joseph Stiglitz: Es ist besser, als es war. Die Krise ist aber noch nicht vorbei. Wir werden im dritten und vierten Quartal ein Wachstum haben, aber das fundamentale Problem ist, dass die Amerikaner jetzt sparen. Und damit bleibt das Wirtschaftswachstum gering. Wenn die Stimuluspläne enden, wird der sinkende Konsum zum Problem und die Arbeitslosigkeit wird steigen.

In Europa erzählen Politiker den Menschen, dass das Schlimmste hinter uns liegt. Die Leute glauben es nicht, sie fürchten eine Welle der Inflation, während Ökonomen vor der Deflation warnen. Wo sehen Sie das größere Problem?

Stiglitz: Inflation ist nicht unser Problem, sondern Deflation. In den USA fallen die Preise, dieses Dilemma droht uns einige Jahre zu beschäftigen. Inflationsdruck ist ein längerfristiges Problem.

Das ist für die über beide Ohren verschuldeten Staaten eine schlechte Nachricht. Sie brauchen eine Geldentwertung, um von ihren Schuldenbergen runterzukommen.

Stiglitz: Es ist nicht mehr so einfach, durch Inflation die Schulden loszuwerden. Die meisten Verbindlichkeiten sind kurzfristig. Und die Zinsen steigen mit der Inflation, womit die Schulden teurer werden. Die Sorge, die ich habe, ist eine andere: Die Zinsen steigen in Erwartung der Inflation – und dann kommt die Inflation möglicherweise gar nicht. Wir zahlen also höhere Zinsen und haben den Vorteil der Inflation – den leichteren Abbau der Schulden – nicht. Zudem werden die Staaten angesichts der steigenden Ausgaben die öffentlichen Ausgaben kürzen, womit das Wachstum zusätzlich erschwert wird.

Wird der Konjunkturverlauf eher einem „V“ oder einem „W“ gleichen?

Stiglitz: Am ehesten wird es ein „W“ mit Kurven werden. Wir sind derzeit auf einem Plateau, es wird wieder ein wenig hinuntergehen, bevor es dann endgültig bergauf geht.

Wann wird die Krise dann vorbei sein? Nennen Sie uns ein Jahr.

Stiglitz: Das hängt davon ab, wie man „vorbei“ definiert. Für mich ist die Krise vorbei, wenn wir wieder übliche Arbeitslosenraten sehen, also fünf Prozent oder weniger. Das wird nicht vor Ende 2011, 2012 passieren. Es wird auch davon abhängen, ob es weitere Stimuluspakete gibt.

Diese Pakete waren bisher allerdings nicht besonders erfolgreich, dafür aber teuer. Die USA haben 750 Milliarden Dollar ausgegeben und damit knapp eine Million Jobs gesichert. Das macht mehr als 700.000Dollar pro Arbeitsplatz.

Stiglitz: Diese Rechnung ist so nicht richtig. Von den 750 Milliarden sind dem heurigen Jahr bestenfalls 250 Milliarden Euro zuzurechnen, womit die Sache schon etwas anders aussieht. Die US-Regierung hat bisher zu wenig getan, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Wäre es besser gewesen, die Banken nicht zu retten?

Stiglitz: Nein. Aber man hätte es anders machen können. Etwa, indem man die Banken rettet, aber nicht die Aktionäre.

Sie gehen in Ihren Analysen sehr hart mit der Marktwirtschaft ins Gericht, zeigen sich gegenüber dem Staat aber sehr großzügig. Dabei hat er mit schlechter Regulierung und Einfluss auf die Notenbank – billiges Geld, niedrige Zinsen – die Krise erst ermöglicht. Warum kritisieren Sie das nicht?

Stiglitz: Billiges Geld war nicht das Problem. Das Problem war, was der Finanzsektor damit gemacht hat. In den 1950er-Jahren, als wir strenge Regulierungen hatten, gab es jede Menge billiges Geld und schnelles Wachstum. Es gab keine Blase. Was in der jüngeren Vergangenheit passierte, war folgendes: Die Banken zahlten die Lobbyisten, damit sie auf Abgeordnete einwirken, die Aufsicht zu schwächen. Wir hatten fünf Lobbyisten pro Kongressabgeordneten. Die haben viel dafür bezahlt, die Regeln loszuwerden.

Das klingt mehr nach einem Staatsversagen als nach einem Versagen der Marktwirtschaft. Für die Erstellung der Spielregeln sind ja nicht die Spieler zuständig, sondern Regierungen.

Stiglitz: Wenn man den Polizisten dafür bezahlt, nicht da zu sein, darf man sich aber nicht darüber beschweren, wenn er dann tatsächlich nicht da ist. Die Banken sind im Geschäft der Gewinnmaximierung. Wenn man schlechte Regeln erstellt, bekommt man schlechte Ergebnisse. Das war ein Fehler der Regierung, ja. Und dennoch: Wenn jemand stiehlt, wem geben Sie dann die schuld: Dem, der stiehlt, oder dem Polizisten, der nicht da war?

Was, wenn der Polizist der Einbrecher ist?

Stiglitz: Der Einbrecher war nicht der Polizist. Die Aufgabe des Regulators ist, sicherzustellen, dass der Finanzbereichnicht extreme Risken eingeht.

Und wie stellt man das sicher?

Stiglitz: Wir müssen die Regeln wieder einführen, die wir in den 1950er-Jahren hatte – die dafür sorgen, dass das Geld sinnvoll verwendet wird und dass es zu Wirtschaftswachstum führt. Zudem müssen wir Investmentbanken von kommerziellen Banken trennen.

Aber es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass der Ruf nach Deregulierung und nach weniger Aufsicht über die Märkte zur größten Rolle der Regierung in der US-Geschichte führte?

Stiglitz: Ja, das ich finde unglaublich ironisch.

Die Wirtschaftskrise hat die Idee des Turbokapitalismus beschädigt. Wird das zu einer Renaissance der Staatswirtschaft führen?

Stiglitz: Nein. Aber ich hoffe, es führt zu dem Verständnis, dass unregulierte Märkte nicht sehr gut funktionieren. Es gibt einige Bereiche, in denen die Frage besteht, ob Regeln allein genügen. Im Finanzbereich wurden beispielsweise die ärmsten Amerikaner zu den Opfern. Die Frage ist, wie man hier eingreift und das künftig verhindert.

Ist der Kapitalismus in einer Krise?

Stiglitz: Der Kapitalismus hat schlimme Auswüchse gezeigt. Das Problem ist, die meisten Unternehmen gehören nicht mehr einer Person oder einer Familie, sondern Aktienbesitzern. Und die Manager agieren nicht unbedingt im Interesse der Aktienbesitzer. Die Investoren sind oft Pensionsfonds, aber der Arbeiter, der seine Pensionen sichern will, hat nicht immer die gleichen Interessen wie der Pensionsfondsmanager. Teil des Problems ist, dass wir eine naive Vorstellung von Kapitalismus haben, den es so nicht mehr gibt.

So schlecht kann das System aber auch wieder nicht sein. Wir hatten großes Wachstum und leben in relativ großem Wohlstand.

Stiglitz: Nicht so großes wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Das wirkliche Wachstum der vergangenen 25Jahre kam von Innovation. Innovation kam von Forschung, und wer unterstützt Forschung? Die Regierung.

Und wer hat die Innovationen umgesetzt? Die Privatwirtschaft.

Stiglitz: Aber die Basis kam von der Regierung. Wer hat das Internet entwickelt, den ersten Webbrowser? Die Regierung. Was wir brauchen, ist ein neues Innovationssystem, in dem die Regierung, also Universitäten, die Basisentwicklung betreibt und Private es vermarkten. Das bringt Wachstum, nicht der Finanzmarkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2009)

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