In einem internen Papier wird erstmals der Zusammenhalt der Währungsunion infrage gestellt. Die Krise deckt auf, wie sehr Süd- und Nordeuropa wirtschaftlich auseinandergedriftet sind.
Wien.Jetzt ist es schwarz auf weiß in einem EU-Papier zu lesen: Brüssel sieht die Währungsunion in Gefahr. In einer internen Vorlage für die Finanzminister tut die Kommission ihre „ernste Besorgnis“ um die Eurozone kund. Es ist ein düsteres Bild, das das Team um den künftigen Währungskommissar Oli Rehn da zeichnet: Die Staaten driften wirtschaftlich immer weiter auseinander, was „das Vertrauen in den Euro schwächt und den Zusammenhalt der Währungsunion gefährdet“.
Alles nur Theaterdonner, um das schwarze Schaf Griechenland zur Budgeträson zu bringen? Die Währungsbrücke über sechzehn EU-Länder wurde schon bei ihrer Einführung als Fehlkonstruktion kritisiert und hat sich doch als höchst tragfähig erwiesen. Mehr noch: Der Euro wurde so stark, dass die Exporteure stöhnen. Sie könnten sich freuen, wenn das hoch verschuldete Griechenland die Einheitswährung schwächt.
Es geht aber um viel mehr als um das Auf und Ab von Wechselkursen. Die US-Skeptiker könnten noch recht behalten – wenn im Euroraum tatsächlich etwas zusammengewachsen ist, was nicht zusammengehört. Im Fokus stehen vier Mitglieder, die in der Finanzwelt verächtlich als „Pigs“ abgekürzt werden: Portugal, Italien, Griechenland und Spanien.
Vor dem Beitritt zum Euro waren dies Staaten mit schwachen Währungen und hoher Inflation. Exportschwäche und Defizite in der Zahlungsbilanz glichen sie immer wieder durch Abwertungen aus. Mit dem Euro ging das nicht mehr. Aber statt die Staaten Südeuropas zu disziplinieren, war er eine Einladung zum Übermut.
Denn auch das automatische Disziplinierungsmittel, schmerzlich hohe Zinsen auf Staatsanleihen, fiel weg. Von den günstigen Euroanleihen machte besonders Griechenland Gebrauch, das sich den Zutritt zum exklusiven Klub mit gefälschten Statistiken erschummelt hatte – so lange, bis die Schulden 125Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreichten. Die Anleihekäufer waren sich sicher: Die starken Brüder im Norden würden es niemals zulassen, dass einer der Ihren bankrottgeht. Und sie vertrauen bis heute darauf: Zwar sind die Risikoaufschläge deutlich gestiegen, aber dafür lockt der Mittelmeerstaat Schnäppchenjäger an – die erste Anleihe dieses Jahres war dreifach überzeichnet.
In Spanien hingegen wiegte sich vor allem der private Sektor in trügerischer Sicherheit. Im Boom des letzten Jahrzehnts, der von einer Immobilienblase befeuert wurde, fielen die Lohnsteigerungen viel höher aus als die Produktivitätszuwächse. Ähnliches passierte bei den anderen „Pigs“. Die Folge: Die Lohnstückkosten stiegen seit 2000 um 30Prozent. Ganz anders in Deutschland, Österreich und den Niederlanden, wo sich die Arbeitnehmer bei den Lohnverhandlungen nobel zurückhielten und so ihre Wirtschaft im internationalen Wettbewerb stärkten.
Ungleichgewichte offengelegt
Die Krise hat diese Ungleichgewichte brutal offengelegt. Den Schwachen droht ein mediterraner Teufelskreis: Die Staaten müssen die Steuern erhöhen, um ihre Schulden weiter bedienen zu können. Das schwächt die Wirtschaft, und viele Junge wandern aus. Vor einem Dilemma aber stehen die versammelten Ritter der Eurorunde. Die sauberste und härteste Lösung wäre, Griechenland auszuschließen. Noch will niemand offiziell daran denken: „Ich kommentiere solche absurden Hypothesen nicht“, sagte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet vor einer Woche.
Springen aber die reichen Länder mit einem Rettungsfonds ein, hätte das – wie schon bei den Banken-Bailouts – eine fatale Vorbildwirkung auf andere Wackelkandidaten. Sie könnten endlich sicher sein, dass ihnen, Brüssel und Frankfurt sei Dank, nichts Schlimmes passieren kann. Umso mehr steht für ihre Retter auf dem Spiel: die Bonität erstklassiger Schuldner und das Vertrauen in unbeirrbare Währungshüter. Euroland steht vor der ersten großen Identitätskrise seiner jungen Geschichte.
AUF EINEN BLICK
■Nicht nur Griechenland macht Brüssel und Frankfurt Sorgen. Auch Spanien, Portugal und Italien sind durch hohe Schulden und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit wirtschaftlich abgedriftet. Müssten die reichen Euroländer Griechenland vor dem Staatsbankrott retten, wäre das Vertrauen in die Währungsunion geschwächt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2010)