USA: Die Rückkehr der Atomkraft

(c) EPA (Tomas Hudcovic)
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US-Präsident Obama will bei der Vorstellung seiner Haushaltspläne eine Verdreifachung der staatlichen Bürgschaften für neue Atommeiler vorschlagen. Der Kampf gegen die Ressourcenknappheit wird wichtiger

Washington (ag./red.).Im US-Präsidentschaftswahlkampf vor eineinhalb Jahren sah alles noch ganz anders aus: Da übte der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama heftige Kritik an seinem republikanischen Widersacher John McCain, der Dutzende neue Atomkraftwerke bauen wollte. Obama schlug stattdessen ein milliardenschweres Programm zur Erforschung „grüner“ Energien vor und besichtigte medienwirksam Fotovoltaikanlagen.

Doch nach der Wirtschaftskrise ist der Kampf gegen Ressourcenknappheit stärker in den Vordergrund gerückt. Und so schrieb Obama jüngst in einem Memorandum an Energieminister Steven Chu: „Eine größere Kapazität unseres Landes zur Herstellung sauberer Atomenergie ist entscheidend für unseren Kampf gegen den Klimawandel, für Energiesicherheit und für weiteren wirtschaftlichen Wohlstand.“

Staatshilfe verdreifacht

Heute, Montag, will der Präsident bei der Vorstellung seiner Haushaltspläne eine Verdreifachung der staatlichen Bürgschaften für neue Atommeiler auf mehr als 54 Mrd. Dollar (38,27 Mrd. Euro) vorschlagen. Bereits in seiner Rede zur Lage der Nation am Mittwoch hat sich Obama überraschend deutlich für Nuklearenergie ausgesprochen: Er forderte den Kongress auf, das umstrittene Klimaschutzgesetz zu billigen, mit dem umweltfreundliche Energien profitabel gemacht werden sollen: „Das bedeutet den Bau einer neuen Generation sicherer und sauberer Atommeiler in diesem Land.“

Um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird ein Ausschuss eingerichtet, der sich mit der künftigen Lagerung von Atommüll beschäftigen soll. Binnen zweier Jahre sollen Vorschläge erarbeitet werden.

In den vergangenen Jahrzehnten hatte Nuklearenergie auch in den USA Gegner auf den Plan gerufen: Zwei Jahrzehnte lang hat es keine Genehmigung für den Bau eines neuen Reaktors gegeben. Grund war ein schwerer Nuklearunfall in Harrisburg vor mehr als 30Jahren, der schwerste in der US-Geschichte. Derzeit kommt ein Fünftel des Stroms in den USA aus Atomkraftwerken, weltweit sind es sechs Prozent.

Zum Umdenken hat auch der Kampf gegen den Ausstoß von Treibhausgasen beigetragen: Obama will in den kommenden zehn Jahren den CO2-Ausstoß in den USA um 17 Prozent unter das Niveau von 2005 drücken.

Am Freitag wies er alle Bundesstellen an, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 28 Prozent zu reduzieren. Die Bundesregierung müsse als größter Energieverbraucher des Landes die Vorreiterrolle bei der Steigerung der Energieeffizienz übernehmen, sagte der Präsident. „Unser Ziel ist es, Kosten zu senken, Ausstoß zu verringern und die Energieausgaben des Bundes weg vom Öl hin zu lokalen, sauberen Energien zu lenken.“

Auch in Europa fand zuletzt ein Meinungsumschwung zugunsten der Atomkraft statt: Die neue deutsche Regierung hat zwar keinen vollständigen „Ausstieg vom Atomkraftausstieg“ vollzogen, doch ist geplant, die Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke zu verlängern. Am Samstag kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Videobotschaft an, künftig mehr in die Erforschung der Kernfusion (dabei werden Atomkerne miteinander verschmolzen) investieren zu wollen, die ohne radioaktive Abfälle auskomme.

Umdenken auch in Europa

In Schweden wurde vor einem Jahr das Bauverbot für neue Atomreaktoren aufgehoben. Polen plant die Errichtung zweier Atomkraftwerke, um die Umweltverschmutzung durch Kohlekraftwerke einzuschränken. Auch in Italien, einem der wenigen Länder neben Österreich, die der Atomkraft abgeschworen haben, zeichnet sich eine Wende ab: Ministerpräsident Silvio Berlusconi will die Atomkraft wieder aktivieren. Das erste Atomkraftwerk soll in Chioggia errichtet werden, 30 Kilometer Luftlinie von Venedig entfernt. Der Spatenstich soll vor 2013 stattfinden, 2020 soll das AKW in Betrieb genommen werden. Es gibt aber Widerstand gegen das Vorhaben.

Eine am Wochenende präsentierte Umfrage in der Schweiz zeigte, dass 73 Prozent der Schweizer glauben, ihr Land benötige Atomenergie für die Stromversorgung. 55 Prozent wollen bestehende Anlagen durch eine neue Generation von Reaktoren ersetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2010)

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