Schweiz: Das Bankgeheimnis wankt

Die Affäre um gestohlene Bankdaten bringt den helvetischen Finanzplatz in Bedrängnis. Immer mehr Schweizer Politiker halten das einst unantastbare Bankgeheimnis für nicht mehr zeitgemäß.

Bern. Als Grundpfeiler des Schweizer Bankenplatzes, den nichts und niemanden erschüttern kann, hat das Schweizer Bankgeheimnis stets gegolten. Doch nun könnten die Tage des seit Mitte der 1930er-Jahre geltenden Bankgeheimnisses gezählt sein, das nicht nur identitätsstiftender Mythos, sondern längst auch ein äußerst erfolgreiches Geschäftsmodell der Schweizer Banken ist.

Die jüngste Affäre um gestohlene Bankdaten von mutmaßlichen deutschen Steuersündern war nur der letzte in einer ganzen Reihe von ausländischen Angriffen auf den helvetischen Finanzplatz. So zwang vor einem Jahr ein Steuerstreit der Großbank UBS mit den amerikanischen Behörden die Schweiz dazu, hunderte Dossiers von amerikanischen UBS-Kunden, die Steuern hinterzogen hatten, an die USA zu übergeben. Das Bankgeheimnis wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geknackt.

Derzeit warten die Amerikaner noch auf weitere rund 4500 Kundendaten von mutmaßlichen Steuerhinterziehern mit UBS-Konto. Zwar hat das Schweizer Bundesverwaltungsgericht diese Datenübergabe mit Hinweis auf das Bankgeheimnis als unzulässig verurteilt, doch die Regierung in Bern sucht händeringend nach Möglichkeiten, dem Wunsch der Amerikaner trotzdem nachzukommen. Ansonsten droht der UBS ein existenzbedrohendes Gerichtsverfahren in den USA.

Peinliche Vorfälle

Gleichzeitig sorgen Steueramnestien der Nachbarländer Italien und Frankreich in den Schweizer Banken für rote Köpfe. Laut einer Studie der US-Bank Morgan Stanley haben allein italienische Kunden der Großbanken UBS und Credit Suisse zwischen drei und sieben Mrd. Franken (zwei und 4,8 Mrd. Euro) aus helvetischen Banktresoren nach Hause gebracht. Und zuletzt sorgten gestohlene Bankkundendaten der HSBC Privatbank in Genf, die den französischen Behörden angeboten worden waren, für heftige Verstimmungen zwischen Bern und Paris.

Nun bringt der Skandal um gestohlene Bankdaten von deutschen Steuerflüchtlingen das Fass zum Überlaufen. Die Schweiz und ihr Finanzplatz stehen mit dem Rücken zur Wand. Daher ist es wenig verwunderlich, dass die Regierung den Datenklau zwar scharf verurteilt, aber gegenüber Deutschland – das dank der Steuer-CD auf zusätzliche Einnahmen von 400 Mio. Euro hofft – keinerlei Vergeltungsmaßnahmen ergreift. Ganz im Gegenteil, die derzeit laufenden Verhandlungen mit Deutschland über ein neues OECD-konformes Doppelbesteuerungsabkommen sollen nicht, wie viele erboste Stimmen im Land fordern, gestoppt, sondern beschleunigt werden. In diesem Abkommen wird geregelt, dass die Schweiz mit Deutschland bei der Suche nach Steuerflüchtlingen künftig enger kooperiert.

Die Schweiz ist angesichts des unter Dauerdruck stehenden Finanzplatzes gezwungen, Konzessionen zu machen. Denn bisher blieben ihre Bemühungen, den Ruf einer unkooperativen Fluchtburg für Schwarzgelder loszuwerden, ohne Erfolg. Zwar wurden die Eidgenossen von der berühmt-berüchtigten „Grauen Liste“ der OECD gestrichen, nachdem sie versprochen hatten, künftig ausländischen Regierungen in Fällen von Steuerhinterziehung Amtshilfe zu leisten. 18 neue Doppelbesteuerungsabkommen, in welchen diese neue OECD-konforme Zusammenarbeit verankert wird, hat die Schweiz mit anderen Ländern bereits ausgehandelt.

Doch die Angriffe auf den Bankenplatz lassen nicht nach. Zu viel unversteuertes Vermögen aus dem Ausland wird noch in der Schweiz gebunkert. Insgesamt verwalten Schweizer Banken rund 2400 Milliarden Franken Vermögen von ausländischen Kunden. Experten schätzen, dass rund ein Drittel davon am Fiskus vorbei in die Schweiz geschleust wurde. Nun gerät das sakrosankte Bankgeheimnis, das längst riesige Löcher hat, auch in der Schweiz selbst unter Beschuss. Nur noch die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei will um jeden Preis daran festhalten. Neben den Linksparteien, die seit Langem die Aufhebung des Bankgeheimnisses fordern, halten nun seit Neuestem auch im bürgerlichen Lager immer mehr Politiker das einst unantastbare Bankgeheimnis für einen alten Zopf. Es könne nicht sein, dass sich die Schweiz aufgrund von Menschen bereichere, die in ihrem Heimatland Steuern hinterziehen würden, kritisiert etwa der freisinnige Nationalratsabgeordnete Werner Messmer. Und der Fraktionschef der Christlichdemokratischen Volkspartei meint, dass die Schweiz im Ausland als Finanzplatz erster Güte wahrgenommen werden solle und nicht als Hort für Steuerflüchtlinge.

Datenaustausch kein Tabu

Zu guter Letzt sorgte der freisinnige Finanzminister Hans Rudolf Merz für einen Tabubruch, als er ankündigte, über den von der EU geforderten automatischen Austausch von Bankkundendaten müsse nachgedacht werden. Bisher hat sich die Schweiz gemeinsam mit Österreich und Luxemburg heftig gegen diesen automatischen Datenaustausch gewehrt, um zumindest den letzten Rest des Bankgeheimnisses wahren zu können.

AUF EINEN BLICK

Das Schweizer Bankgeheimnis,das seit Mitte der 1930er-Jahre existiert, gerät ins Wanken: Immer wieder kommt es zu Anfeindungen seitens des Auslandes. Der aktuelle Skandal um gestohlene Bankdaten über deutsche Steuerflüchtlinge hat das Fass zum Überlaufen gebracht: Immer mehr Schweizer Politiker sprechen sich für die Abschaffung aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2010)

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