Beim Bahnausbau droht Finanzkollaps

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Bahnausbau kostet den Staat bald mehr als eine Milliarde Euro Zinsen im Jahr. Experten bezweifeln Konjunktureffekt und plädieren für eine Verschiebung der Tunnelgroßprojekte.

Wien (ju).Während im Verkehrsministerium unter dem Druck der Budgetmisere gerade die „Evaluierung“ der teuren Straßen- und Bahnausbauprogramme läuft (was auf deutliche Kürzungen hinauslaufen wird), machen die Gegner des Ausbauprogramms mobil: „Die völlig überzogenen Milliardeninvestitionen sind die Sozial-, Pensions- und Bildungskürzungen der Jahre ab 2020“, sagte die Verkehrssprecherin der Grünen, Gabriela Moser, zur „Presse“. Man ruiniere damit die Budgets künftiger Generationen, ohne besondere Beschäftigungseffekte oder volkswirtschaftliche Werte zu schaffen.

Moser hatte am Dienstag den Chef des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der Wiener Wirtschaftsuniversität, Sebastian Kummer, zum Expertengespräch geladen – und dabei ein budgetäres Schreckensbild gezeichnet.

Im Einzelnen:

• Die laufenden Ausbauvorhaben der Bahn – besonders die Milliardenprojekte Koralm- und Brennerbasistunnel – werden den Schuldenstand der ÖBB im laufenden Jahrzehnt von derzeit rund 16 auf mindestens 26 Mrd. Euro hochtreiben. Für die Schulden haftet der Staat, er wird sie also aus dem Budget zurückzahlen müssen.

Experten bezweifeln, dass die Bahn, wie derzeit geplant, dazu einen 30-prozentigen Anteil leisten wird können, die Schuldentilgung wird also zu 100 Prozent durch den Bund erfolgen. Dafür wird der Finanzminister aus dem Budget (zusätzlich zu den normalen Zuschüssen, die derzeit schon bei knapp sieben Mrd. Euro pro Jahr liegen) mindestens 1,6 Mrd. Euro pro Jahr aufwenden müssen. Und zwar 40 Jahre lang. Davon (auf heutiger, niedriger Zinsenbasis) mindestens eine Mrd. Euro nur für Zinsen.

• Ähnlich schlimm sieht die Lage bei der Straßenbaugesellschaft Asfinag aus: Die sollte die Schulden für ihr ehrgeiziges Ausbauprogramm zwar durch Mautzahlungen abdecken, das funktioniert aber nicht. Schon deshalb, weil der Güterverkehr in der Krise stark eingebrochen ist.

Die Rückzahlungen sollen ab 2020 50 Jahre lang laufen – und würden, wenn der Bund nicht einspringt, ab dann keinen Cent mehr für Straßenneubau und Sanierung übrig lassen.

Die Budgetmalaise wird durch den (derzeit allerdings zur „Evaluierung“ anstehenden) ÖBB-Rahmenplan 2010 bis 2015 und das für den gleichen Zeitraum geltende Asfinag-Bauprogramm noch verschärft: Aus konjunkturellen Grünen wurden beispielsweise bei der Bahn Investitionen für die Jahre 2010 bis 2012 deutlich aufgestockt.

Ein Vorhaben, das, so Moser, „null zusätzlichen Beschäftigungseffekt“ bringt. Denn der Tiefbau sei wegen des forcierten Bauprogramms ohnehin „völlig überhitzt“, zusätzliche Aufträge führen also nur zu starken Preissteigerungen – zuletzt kletterten die Tiefbaupreise um 3,8 Prozent nach oben – und zur Verlagerung der Aufträge ins Ausland.

Nach dem derzeitigen Stand werden für den Infrastrukturausbau (ÖBB und Asfinag) in den kommenden fünf Jahren zwischen 3,5 und vier Mrd. Euro pro Jahr ausgegeben. Davon (einschließlich der geplanten Beiträge für den Brennerbasistunnel) zwischen 2,3 und 2,5 Mrd. Euro für die Bahn.

Die jüngst vom Finanzminister verordnete Budgetfastenkur wird die Verkehrsministerin freilich zwingen, hier starke Abstriche zu machen.

Wie das geschehen soll, darüber gehen die Meinungen freilich auseinander. Das Verkehrsministerium dürfte an den großen Prestigeprojekten festhalten und eher bei politisch weniger heiklen Projekten – etwa bei einzelnen Bahnhofsausbauten – den Sparstift ansetzen. Was freilich als Antikonjunkturprogramm wirken könnte: Bahnhofsrenovierungen sind deutlich arbeitskräfteintensiver als der Tief- und Tunnelbau.

Moser plädiert dafür, dass die Asfinag ihre Pläne nach Rentabilitätskriterien durchforstet und die unrentabelsten Projekte streicht. Und dass das ÖBB-Ausbauprogramm drastisch von mehr als zwei auf eine Mrd. Euro im Jahr zurückgefahren wird. Das würde bedeuten, dass milliardenteure Prestigeprojekte wie etwa Koralm- und Brennerbasistunnel zumindest einmal zurückgestellt würden.

Tunnelprojekte redimensionieren

Eine Idee, die übrigens inoffiziell auch in Teilen des ÖBB-Managements Zuspruch findet. Denn die verkehrspolitische Bedeutung der beiden Tunnelprojekte werde derzeit übertrieben dargestellt: Die bestehende Brennerstrecke habe noch beträchtliche Kapazitäten. Und die sogenannte baltisch-adriatische Verkehrsachse, deren Teil der Koralmtunnel sein soll, existiere in der Realität nicht.

WU-Experte Kummer vertritt seit einiger Zeit einen Kompromiss: Der Brennertunnel könne – viel günstiger – zu einem reinen, einröhrigen Güterverkehrstunnel ausgebaut werden und für die zu erwartenden Verkehrsströme unter der Koralm würde eine Röhre auch vollauf reichen.

AUF EINEN BLICK

Die Schulden der ÖBB werden in den kommenden Jahren wegen des forcierten Ausbauprogramms um 50 Prozent auf 24 Mrd. Euro steigen. Der Bund wird dann mehr als eine Mrd. Euro im Jahr nur für den Zinsendienst aufwenden müssen. Auch der Straßenbaugesellschaft Asfinag entgleiten die Schulden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2010)

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