China kauft sich den Rest der Welt

China kauft sich Rest
China kauft sich Rest(c) AP
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Der Volvo-Deal ist ein kleiner Teil einer großen Strategie. Statt Werkbank der Welt zu bleiben, baut China Marken und Multis auf - mit westlichem Know-how. Geld ist kein Thema. Muss Europa sich fürchten?

Volvo kennt jedes Kind. Aber Geely? Was soll das sein, wie spricht man das aus? Bitte sehr: Ji Li Qi Che bedeutet „viel versprechendes, vorteilhaftes Automobil.“ Für diese kleine Chinesisch-Nachhilfe am Sonntag ist es höchste Zeit. Denn vergangene Woche hat der Autobauer mit dem kuriosen Namen die schwedische Traditionsmarke gekauft – um wohlfeile 1,34 Mrd. Euro.

Viel versprechend und vermutlich vorteilhaft ist auch die Strategie, mit der sich China nun anschickt, die Wirtschaftswelt zu erobern. Viele Jahre lang hat sich das Reich der Mitte damit begnügt, globale Werkbank für beschäftigungsintensive Massengüter zu sein – mit einen riesigen Reservoir an billigen Arbeitskräften. Fast 60 Prozent der Exportgüter werden in Fabriken produziert, an denen ausländische Unternehmen beteiligt sind. Dazu kommen Zulieferer westlicher Konzerne. Aber wer einen Turnschuh um fünf Euro produziert, freut sich nicht ewig darüber, dass ihn ein anderer in Europa um 95 Euro verkaufen kann. Deshalb stellt China die Arbeitsteilung in Frage und will auch bei anspruchsvollen Produkten stärker konkurrieren.

Wissen statt Eisenerz. Doch obwohl heute schon kein Land mehr Studenten hat als China, fehlt es oft am Know-how, um den Sprung aus eigener Kraft zu schaffen. Also machen die Chinesen das, was in ihrer Kopierkultur vorgezeichnet ist, was Sony in Japan oder Samsung in Südkorea nicht anders machten: Sie kaufen sich westliche Unternehmen und damit deren Know-how. So lange, bis sie selbst in der Lage sind, Innovationen voranzutreiben.

Also schrieb die Zentralregierung, die das Geschehen dirigiert, schon vor fünf Jahren einen „Leitkatalog für Auslandsinvestitionen“, ergänzt um die patriotische Parole „Schwärmt aus“. Mit Erfolg: 46 Mrd. Dollar wurden 2009 für Fusionen und Firmenkäufe ausgegeben, fünf Mal mehr als noch 2005.

Früher standen vor allem Rohstoffe auf dem Einkaufszettel: ein russischer Ölkonzern, ein kasachischer Gasförderer, Abbaurechte im Schurkenstaat Sudan. Beim Wettlauf um die Bodenschätze in Afrika hat China die Nase vorn. Und der versuchte Erwerb von Anteilen am australischen Bergbaukonzern Rio Tinto wuchs sich 2009 zur diplomatischen Krise aus: Die Australier lehnten aus Angst um ihre Unabhängigkeit ab und zogen sich den Zorn der gedemütigten Staatskapitalisten zu. Wenig später landeten vier Rio Tinto- Mitarbeiter in Shanghai wegen „Spionageverdachts“ im Gefängnis.

Doch längst zeigen auch Konzerne mit komplexeren Produkten als Erz und Öl ihre Muskeln im Ausland. Lenovo katapultierte sich 2005 mit der Übernahme der IBM-PC-Sparte auf den vierten Platz im Ranking der Produzenten von Personal Computern. Im Einkaufskorb von TCL, dem weltgrößten Hersteller von Fernsehern, landeten Marken aus Frankreich, Deutschland und den USA. Im Sommer vorigen Jahres verkündete Ministerpräsident Wen Jiabao, man werde die „Schwärmt aus“-Strategie „beschleunigen“. Konkret heißt das: Auch private Betriebe erhalten Staatsgeld für ihre Expansion– aus der vollsten Schatztruhe der Welt. Schwer vorstellbare 2,4 Billionen Dollar haben die Chinesen an Währungsreserven angehäuft; das entspricht der Wirtschaftsleistung Großbritanniens. Mit den Käufen von Dollars und amerikanischen Staatsanleihen hält die Führung den Yuan künstlich niedrig.

Sinistre Sinisierung. Die Angst vor einem Verfall der US-Währung treibt sie aber nun in alternative Anlageformen – und dazu zählen Firmenkäufe in der Ferne. Noch übersteigen die US-Auslandsinvestitionen die chinesischen um ein Vielfaches. Aber mit der Kriegskasse im Rücken könnte China bald aufschließen. Dabei sind Akquisitionen, bei denen Chinesen das operative Ruder übernahmen, oft grandios gescheitert. So mancher deutsche Mittelständler, der seinen Familienbetrieb mangels Nachfolge in chinesische Hände übergab, kann davon ein trauriges Lied singen.

Aber auch das Rezept bei großen Deals ist fragwürdig: Schnäppchen kaufen, also marode Unternehmen im Ausverkauf – ohne Konzept für eine Sanierung. Das gilt auch für Volvo: Der Autobauer schreibt rote Zahlen, vor elf Jahren hatte Ford für ihn noch das Dreieinhalbfache gezahlt. Aber lernen kann man von den Schweden allemal eine Menge.

Nichts scheint den Vormarsch stoppen zu können. Selbst eine Abwehr-Koalition, wie es sie früher in Ansätzen gegen Japan gab, hätte keine Chance. Denn gerade das kommunistische China hat sich mit Haut und Haaren der Globalisierung verschrieben. Sein Markt steht – im Rahmen der Bürokratie – allen offen, alles ist vernetzt, und ausländische Unternehmen in China haben noch größere Geschäftsinteressen als die Chinesen im Rest der Welt. Gerade diese wirtschaftliche Integration relativiert Ängste vor einer sinistren Sinisierung der Welt – einem Szenario, in dem China allen seine Gesetze aufzwingt. Der Markt hat seine eigenen Spielregeln, denen sich auch Peking beugen muss. Ein Beispiel: China ist der größte Exporteur gefälschter Produkte, hat in dieser Hinsicht lange unfair gespielt. Doch mittlerweile zeigt die Führung Interesse am Schutz des geistigen Eigentums, weil sich zu Hause 80 Prozent aller Verstöße gegen heimische Unternehmen richten.

Östliche Kampfkunst. Im Übrigen wird es keinen „Weltkrieg um Wohlstand“ geben. Wie die älteren Fallbeispiele USA und Japan zeigten, profitieren von einem neuen starken Mitspieler in der Weltwirtschaft am Ende alle – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. In dem unvermeidlichen Strukturwandel gibt es relative Gewinner und Verlierer.

Es ist keineswegs entschieden, dass Europa zu den Verlieren zählen muss. Voraussetzung für den Erfolg ist, die Energie des stärkeren Gegners für seinen eigenen Vorteil zu nutzen. Das wiederum ist eine Weisheit, die wir einem Know-how-Transfer in der Gegenrichtung verdanken: Sie stammt von chinesischen Kampftechniken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2010)

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