Eurokrise: Und jetzt müssen die Schulden weg

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Mit einem Riesenrettungspaket konnte die EU vorerst die Finanzmärkte beruhigen. Die Euroländer sind mit sieben Billionen Euro verschuldet. Es gibt drei Optionen, das zu ändern.

WIEN/BRÜSSEL. Die Euroländer haben sich Zeit gekauft. Der gewaltige Rettungsfonds für die Währung in der Höhe von 750 Milliarden Euro wirkt vorerst. Die Finanzmärkte haben sich nach den dramatischen Krisenbeschlüssen der EU-Regierungen am Montag beruhigt. Aber die Konstruktion bleibt fragil. Denn das Grundproblem einer gewaltigen Überschuldung ist geblieben. Mit nicht weniger als 7,062 Billionen Euro sind die Länder der Währungsunion verschuldet. Allein im vergangenen Jahr hat sich die Schuldenlast laut einer Statistik von Eurostat um 565,1 Milliarden Euro erhöht. Zieht die Konjunktur nicht rasch an, wartet eine Zeitbombe, die letztlich den Euro, aber auch die Volkswirtschaften der Teilnehmerstaaten arg in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Gelingt den 16 Euroländern nicht auch, glaubhaften Willen zur Sanierung ihre Staatshaushalte zu zeigen, könnte ein Land nach dem anderen von den Finanzmärkten erneut abgestraft werden. Nach und nach müssten Länder den Krisenfonds anzapfen. Es steht nicht weniger auf dem Spiel als die globale „Marginalisierung“ Europas, sollten die notwendigen strukturellen und politischen Reformen ausbleiben, warnt dieser Tage ein Bericht von zwölf Weisen, der sich mit der Zukunft der Europäischen Union auseinandergesetzt hat.

Die riesige Last an Schulden schränkt die Handlungsfähigkeit der Union vor allem in Phasen schlechter globaler Konjunktur ein.

Radikale Sparprogramme

Die schwierigste, aber auch konfliktreichste Option zur Sanierung eines Staates ist ein radikales Sparprogramm. Es setzt deutliche Kürzungen bei den Ausgaben für die öffentliche Verwaltung voraus. Der Staat konzentriert seine Funktionen auf wesentliche Elemente wie die Bereitstellung eines Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystems, und er macht seine Verwaltung schlank und effizient. Privilegien wie Sonderzahlungen für bestimmte Staatsbedienstete, die für das Budget relevant sind, werden gekürzt oder aufgelöst. Die öffentliche Hand reduziert ihre Aufträge an die Privatwirtschaft; Subventionen wie etwa für Betriebsansiedlungen oder Kultureinrichtungen werden gekürzt.

Die Folgen: Der Staat verliert an Einfluss in der Gesellschaft. Er reduziert seine Funktion als Arbeitgeber. Er muss Mitarbeiter kündigen oder – siehe Griechenland – deren Gehälter und Pensionsansprüche stark kürzen. Zur Sanierung des Budgets werden Staatsbetriebe privatisiert. Wird in wirtschaftlich prekären Zeiten der Staatshaushalt saniert, fällt damit ein Teil der Wirtschaftsleistung vorübergehend aus. Viele Unternehmen, die bisher als Dienstleister für die öffentliche Hand tätig waren, erleben Umsatzeinbrüche. Subventionsempfänger wie etwa im Kulturbereich können ihre Ideen und Projekte nicht mehr umsetzen. Die Arbeitslosigkeit in bisher vom Staat finanzierten Sektoren steigt. Soziale Spannungen nehmen zu. Wie im Falle von Griechenland sind Massenproteste nicht ausgeschlossen. Es beginnt fast automatisch eine Debatte über die Verteilungsgerechtigkeit der Sparmaßnahmen.

Radikale Sparmaßnahmen, wie sie vom Internationalen Währungsfonds (IWF) bereits mehrfach Staaten auferlegt wurden, haben einige dieser Länder noch tiefer in die Krise gestürzt. Südamerikanische Länder erlebten beispielsweise in den 1980er-Jahren eine Talfahrt ihrer Konjunktur und einen radikalen Anstieg der Arbeitslosigkeit. In Sambia blieben 2004 zahlreiche Schulen gesperrt, weil die Regierung laut Sparprogramm keine zusätzlichen Lehrer anstellen durfte. Aber es gab auch relativ erfolgreiche Staatssanierungen, in die der IWF eingebunden war, wie etwa ab 2008 in der Ukraine.

Inflationierung von Budgetlasten

Inflation zuzulassen ist ein probates Mittel, um Staatsschulden zu entwerten und damit wegzubringen. Sie entsteht, wenn die Geldmenge deutlich schneller steigt als die Wirtschaftsleistung. Die Europäische Zentralbank hat mit ihrer Entscheidung, Staatsanleihen direkt anzukaufen und damit bildlich gesprochen die Notenpresse anzuwerfen, eine Tür zur Inflationierung aufgemacht. Die direkte Finanzierung von Budgetdefiziten aus der Notenpresse gilt als „nukleare Option“ der Notenbanker – also als letztes Mittel, um beispielsweise einen Staatsbankrott abzuwenden. Sie führt praktisch immer zu hoher Inflation. Großbritannien und die USA praktizieren das seit eineinhalb Jahren, in der Eurozone war es bisher tabu.

Die Folgen: Wie groß ist dieses Inflationsrisiko nun wirklich? Der deutsche Finanzexperte Wolfgang Gerke schätzt, dass die Inflation in den nächsten Jahren auf drei bis vier Prozent steigen könnte. In der Finanzbranche glaubt man, dass die Geldentwertung auf mindestens fünf Prozent, wahrscheinlich aber deutlich höher klettern wird. Allerdings nicht sofort: Damit sich die Geldüberschwemmung der Märkte in den Verbraucherpreisen richtig auswirken kann, muss erst die Wirtschaft anspringen. Es ist auch noch nicht ausgemacht, ob es zur Gänze die Verbraucherpreise trifft: Die sehr hohe Inflation in den Jahren von 2003 bis 2008 (da ist die Geldmenge in der Eurozone sehr stark ausgeweitet worden) hat praktisch ausschließlich die Finanzmärkte betroffen (Asset Inflation) – und hat dort zur „Blase“ geführt, an deren Platzen wir noch immer „kiefeln“.

Diesmal dürfte es aber definitiv in Richtung Verbraucherpreise gehen. Das bedeutet: Preise und Zinsen steigen, Sparguthaben, Löhne, Pensionen werden entwertet. Die Halter von Lebensversicherungen und Pensionsfonds erleiden reale Vermögensverluste. Die Staaten laden über erhöhte Inflation einen Teil ihrer Schuldenlast ab. Für private Schuldner gilt das aber nicht: Ihre Zinsen werden wahrscheinlich sehr schnell angepasst.

Der jetzt von der EZB aufgenommene inflationsfördernde direkte Ankauf von Staatsanleihen entlastet die Schuldnerländer und verschafft dem Euro ein bisschen Luft.

Hoffen auf eine bessere Konjunktur

Staatsschulden können sich auch durch besonders günstige Rahmenbedingungen reduzieren. Dafür müssen aber die Einnahmen durch ein höheres Wirtschaftswachstum höher sein als der Anstieg der Schulden. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz fordert eine ähnliche Taktik für Griechenland. Er warnt vor einem „Zu-Tode-Sparen“ der Wirtschaft und verlangt gerade jetzt kluge Investitionen. Denn springt die Wirtschaft einmal an, steigen die Steuereinnahmen automatisch. Der Staat nimmt mehr Geld ein und kann seine Schulden tilgen. Hat die jeweilige Regierung noch dazu Massensteuern erhöht, funktioniert die Sanierung umso schneller.

Da aber der politische Druck meist fehlt, wird in guten konjunkturellen Zeiten kaum gespart.

Die Folgen: Die Staaten können mit viel Glück einem Bankrott entkommen, aber sie lösen ihr strukturelles Defizitproblem nicht. Staatsgelder werden weiterhin verschwendet. Der Haushalt ist für schlechte Zeiten nicht gerüstet. Das Wirtschaftswachstum wird durch eine ineffiziente Bürokratie weiterhin gebremst. Springt das Wachstum durch zusätzliche staatliche Investitionen nicht an, erhöht sich dadurch nur weiter der Schuldenstand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2010)

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