Euroländer schönen seit 2004 ihre Budgetzahlen

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Schon seit sechs Jahren wird beim Budget getrickst - und werden Warnungen ignoriert. Deutschland und Frankreich setzten schon 2003 den Stabilitätspakt außer Kraft, um Strafen zu vermeiden.

Wien. Die derzeit oft gehörte Meinung, die aktuelle Eurokrise sei durch ebenso überraschende wie heftige Spekulationen gegen das pleitebedrohte Griechenland ausgelöst worden, kann Moritz Kraemer, Chef für Europa-Länderratings bei der internationalen Ratingagentur Standard & Poor's, nicht teilen: „Wir haben ab etwa 2004 bemerkt, dass die Euroländer Window-Dressing zu betreiben begonnen haben“, sagt der Mann, der mit seinen Urteilen die Zinsen, die Staaten für ihre Anleihen bezahlen müssen, wesentlich mitbeeinflusst, im Gespräch mit der „Presse“.

Damals hätten Schuldenstände und Defizite nicht nur in den jetzigen Problemländern Griechenland, Spanien, Portugal und Irland „Hochwassermarken“ erreicht. Als Reaktion darauf hätten die Finanzminister der Eurozone begonnen, „die Zahlen besser aussehen zu lassen, als sie waren“.

Die Reaktion der großen Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch: Sie begannen, die Kreditwürdigkeit der Problemländer der Eurozone abzustufen. Griechenland, Spanien und Portugal waren schon 2004 dran, 2008 und 2009 folgten weitere „Downgradings“, die Rückstufungen in diesem Frühjahr, die als Mitauslöser der aktuellen Eurokrise gelten, waren nur die letzten in einer langen Reihe. Die Begründung war immer dieselbe: zu hohe Schulden, zu hohe Defizite, zu große Leistungsbilanz-Ungleichgewichte, fehlende Maßnahmen zu deren Beseitigung.

Keine Reaktion der Politik

Die Reaktion der Politik? Keine. „Niemand wollte das hören“, sagt Kraemer. Das schon damals besonders kritisierte Griechenland versprach 2004 Besserung und Strukturreformen (ohne sie dann allerdings durchzuführen). Und das war es dann auch schon.

Damals wäre es freilich schwierig gewesen, den Euro-Stabilitätspakt mit seinen strikten Defizit- und Verschuldungsgrenzen durchzusetzen: Der war nämlich de facto gerade von den Euro-Schwergewichten Deutschland und Frankreich außer Kraft gesetzt worden. Die beiden Länder hätten wegen der Verletzung der Maastricht-Kriterien nur ein Jahr nach Einführung des Euro-Bargelds beträchtliche Strafzahlungen (zehn bzw. 7,5 Milliarden Euro) berappen müssen. Frankreichs damaliger Präsident Chirac und Deutschlands Bundeskanzler Schröder hatten dagegen heftigen Druck aufgebaut – und das Defizit-Strafverfahren schließlich per EU-Mehrheitsbeschluss abgedreht. Der Sündenfall war perfekt.

Kurze Zeit später scheiterte auch der Versuch, das Statistikamt Eurostat mit mehr Kompetenzen gegen die „Trickser“ unter den Euroländern auszustatten: Ein entsprechender Entwurf wurde mehrheitlich abgelehnt. Auch Österreich war übrigens dagegen.

Sparprogramme unvermeidbar

Das Ergebnis ist bekannt. Und wie geht es nun weiter? Bei Standard & Poor's hält man das 750-Milliarden-Euro-Hilfspaket, das die Euroländer für notleidende Mitglieder geschnürt haben, für insgesamt durchaus verkraftbar. Ausreichen werde es aber nur, wenn Länder wie Griechenland ihre Reformen und Sparprogramme wirklich schnell auf Schiene bringen. Rating-Chef Kraemer formuliert es diplomatisch: „Die Behauptung, dass ein Zahlungsausfall gänzlich unmöglich ist, ist durch die Empirie nicht gedeckt.“ Ohne erfolgreiche Reformen „kann das Land nicht durchgetragen werden“. Das Hilfspaket verschaffe nur Spielraum, der aber genutzt werden müsse.

Auch Österreich wurde erwischt

Beim „Window-Dressing“ der Budgetzahlen war das Liefern von bewusst gefälschten Zahlen, wie es derzeit Griechenland vorgeworfen wird, übrigens die Ausnahme. In den meisten Fällen versuchten die Euroländer, ihre offiziellen Schulden durch Auslagerungen aus dem Budget klein zu halten. Nicht nur in Österreich. Die Ratingagenturen haben beispielsweise Tricksereien besonders oft in Zusammenhang mit der Rekapitalisierung von staatsnahen Unternehmen bemerkt.

Manchmal sogar die EU-Kommission: Österreich meldete 2004 ein moderates Defizit von 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nach Brüssel. Ein moderater Fehlbetrag, der deutlich unter der sogenannten Maastricht-Grenze von drei Prozent lag. Allerdings: Eine Entschuldung der ÖBB war außerbudgetär gelaufen – was die EU-Kommission nicht nachvollziehen wollte. Die Milliarden für die Bahn wurden also dem Defizit zugeschlagen – das damit auf 4,4 Prozent weit über das Maastricht-Limit schoss. Folgen hatte das für Österreich freilich keine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2010)

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