„Griechenland wegen Raubüberfall geschlossen“

Ein erneuter Generalstreik legte am Donnerstag Griechenland lahm. Tausende Demonstranten zogen vor das Parlament in Athen und warfen den Abgeordneten den „Raub“ der Pensionszulagen vor.

ATHEN.Zum zweiten Mal innerhalb dieses Monats hat ein 24-stündiger „Generalstreik“ weite Teile des öffentlichen Lebens in Griechenland lahmgelegt. Lehrer und Bankangestellte, Finanz- und Verwaltungsbeamte sowie Busfahrer und Hafenarbeiter protestierten am Donnerstag gegen Sparmaßnahmen und eine geplante Pensionsreform, mit der die bankrotten Staatsfinanzen saniert werden sollen. Während auch diesmal wieder keine Fähren zu den Inseln ausliefen, wurde aber der Flugverkehr ohne Störungen abgewickelt. Die Demonstrationen verliefen am Donnerstag zunächst friedlich.

„Wegen Raubüberfall geschlossen“ sei Griechenland, titelte die Zeitung „Vradyni“. Als „Raubüberfall am Rande der Unmoral“ sieht zum Beispiel Adonis Manolakis die Kürzung der Zulagen auf seine Pension. „Andere Einkünfte als die Pension habe ich nicht. Meine Kinder werden wohl nicht einmal die bekommen.“ Der 61-jährige Elektriker müsste allerdings noch vier Jahre arbeiten, würde die geplante Reform heute schon gelten.

200 Euro seiner jährlichen Zulagen sind ihm schon gekürzt worden. „Diebe, Diebe“, schreit Manolakis deshalb mit tausenden anderen vor dem Parlament. „Alle 300 gehören ins Gefängnis“, brüllt die Menge. Die 300 Abgeordneten, die Politiker schlechthin, machen viele Griechen für die prekäre Lage verantwortlich.

Abrissbirne gegen Nachtclub

Die sozialistische Regierung von Georgios Papandreou versucht, ihr ehrliches Bemühen unter Beweis zu stellen, endlich auch die Besitzenden zur Kasse zu bitten. Gemeinsam mit seiner Umweltministerin verfolgte Papandreou in der vergangenen Woche höchstpersönlich, wie die Abrissbirne einem bekannten Nobelnachtclub das endgültige Ende bereitete. Der Club „Fantasia“, ohne Genehmigung an der Athener Küste vor Jahrzehnten erbaut, hätte schon mehrmals abgerissen werden sollen. Doch die Beziehungen der mächtigen Unternehmer reichten offensichtlich bis in die höchsten Ebenen der Politik.

In der „Fantasia“ aufgetreten war nicht selten auch Tolis Voskopoulos, Ehemann von Tourismusministerin Angela Serekou. Als Anfang der Woche bekannt wurde, dass der Schlagersänger 5,5 Millionen Steuern schuldig geblieben war, trat Serekou zurück.

Kurz zuvor hatte das Finanzministerium Namenslisten von Ärzten veröffentlicht, die Steuerschulden nicht bezahlen. Ohne Nennung von Namen erschien eine „schwarze Liste von Weißkitteln“, so die Zeitung „Ta Nea“, deren angegebene Jahreseinkommen die Grenze der Lächerlichkeit erreichten, wie zum Beispiel das eines Zahnarztes in Höhe von 300 Euro im Athener Luxusviertel Kolonaki.

Nicht nur Ärzte, auch weitere 178.000 griechische Steuerzahler müssen jetzt mit gnadenloser Überprüfung rechnen. Griechischen Schätzungen zufolge beläuft sich die Schattenwirtschaft am Fiskus vorbei auf 30 bis 40 Prozent des BIPs. Gelingt es, diese Steuerhinterziehung einzudämmen, würden sofort Milliardenbeträge in die Staatskassen fließen.

„Auch Ihr wart Teil des Systems“

Signale dieser Art seien jetzt wichtig, sagt Jens Bastian vom Sozialforschungsinstitut Eliamep. Damit zeige man, dass auch die „Mitte der Gesellschaft“ aufgerufen sei, ihren Beitrag zu leisten. Eben nicht nur Schlagersänger, Politiker und Großunternehmer seien die Schuldigen. Die Botschaft an die griechischen Steuerzahler hieße: „Ihr seid nicht nur belogen worden, wart nicht nur Opfer der Politiker, sondern auch Teil eines Systems der Steuerhinterziehung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2010)

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