Brüsseler Gesprächstherapie

Wenn man nicht mehr weiterweiß, gründet man einen Arbeitskreis: Europas Finanzminister reden über Krisenstrategien – und aneinander vorbei.

Brüssel. Angela Merkel stellt sich eine knallharte Frage – und findet eine butterweiche Antwort.

„Was habt ihr als Politiker überhaupt noch in der Hand?“, hob die deutsche Kanzlerin am Donnerstag in einer Rede in Berlin an. Ihre Antwort: „Ich glaube, dass wir es schaffen können, auch in einer globalisierten Welt miteinander eine Ordnung herauszuarbeiten, in der die Marktkräfte natürlich die vorantreibenden Kräfte sind, aber in die sie politisch so eingebunden sind, dass dadurch der Gestaltungsanspruch der Politik nicht zerstört wird, sondern weiterhin besteht.“

Das klingt nach Friede, Freude, Eierkuchen. Und es beschreibt die Lage, in der sich Europas Politiker finden, wenn sie den Finanzkapitalismus zähmen wollen. Irgendwie „zusammenarbeiten“. Irgendwie die Marktkräfte „einbinden“. Aber nur ja nicht zu konkret werden. Dabei könnte man sich wehtun. Oder die Wähler vergrätzen.
Europa lähmt sich selbst: Auch am Freitag bei der ersten Sitzung einer Arbeitsgruppe unter Ratspräsident Herman Van Rompuy, die den Umgang mit Wirtschaftskrisen verbessern und die Budgetdisziplin in Europa erhöhen soll.

Keine Insolvenz für Euroländer


Klingt gut. Doch schon die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe legt ihre Schwäche offen. Denn sie besteht aus den Finanzministern, Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn und Jean-Claude Trichet, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB).
Genau diese Herrschaften treffen sich monatlich beim Finanzministerrat. Und dort finden sie regelmäßig kein Einvernehmen darüber, wie man Wirtschafts- und Währungspolitik machen soll.

So war auch das freitägliche Treffen eine Übung im Aneinander-Vorbeireden. Spaniens Finanzministerin Elena Salgado etwa tat so, also ginge es einzig darum, sich ein bisschen besser abzusprechen. „Die Priorität ist in der Tat, wirtschaftliche Maßnahmen zu koordinieren“, sagte sie.

In Berlin sieht man das ganz anders. Dort hatte Merkel am Freitag knapp vor Beginn des Arbeitskreises gegen Widerstand in der eigenen Partei die bis zu 148 Mrd. Euro schweren Staatshaftungen für den 440-Mrd.-Euro-Fonds zur Rettung angeschlagener Eurostaaten durchs Parlament gebracht.

Doch mehr als fiskalpolitische Gesprächstherapie gab es für Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht. Er hatte eine „geordnete staatliche Insolvenz“ für Euroländer gefordert. Und die Vorab-Kontrolle der 27 Budgets durch die EZB oder unabhängige Experten.

Diese Ideen liegen seit März auf dem Tisch. Am Freitag fielen sie erneut unter selbigen. Stattdessen machten Schäuble und seine französische Amtskollegin Christine Lagarde bei einer gemeinsamen Pressekonferenz freundliche Nasenlöcher. Friede, Freude, Eierkuchen – und am 7. Juni trifft man sich erneut. Aber in Luxemburg. „Damit wir nicht dreimal die Woche nach Brüssel kommen müssen“, feixte Lagarde. „So sehr wir Brüssel auch lieben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.