Hyperinflation: Wenn ein Ei 100 Mio. kostet

Inflation Wenn kostet
Inflation Wenn kostet(c) APN (Thomas Kienzle)
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Die Sorge bezüglich einer Hyperinflation steigt. Helfen würde sie aber nicht nur dem Staat, sondern auch dem privaten Schuldner – so er die Kreditraten noch bedienen kann. Der Verlierer ist der Sparer.

WIEN (rie). Die Erkenntnis von John Maynard Keynes war für die Menschen seiner Generation zweifellos so wichtig wie seine Wirtschaftstheorien für die nachfolgende. Wenn man sich zwei Bier auf einmal bestelle, sei das wirtschaftlich klüger, befand Keynes in den 1920er-Jahren. Die Gefahr, dass das zweite Bier warm wird, sei nämlich geringer als die, dass man deutlich mehr bezahlt, wenn man es später bestellt.

Kann sein, dass die Anekdote aus einer Studie des deutschen Wirtschaftswissenschafters Rüdiger Dornbusch erfunden ist. Sie beschreibt aber die Zeiten der Hyperinflation der Jahre 1922/23 in Deutschland und Österreich ziemlich gut. Bei der damaligen Inflationsrate von 30.000 Prozent pro Monat dauerte es nur vier Tage, bis sich die Preise verdoppelten.

Von solchen Zahlen spricht heute niemand. Dennoch ist die Sorge bezüglich einer hohen Inflation („Hyperinflation“ fängt je nach Experte bei 20, 50 oder 100 Prozent pro Monat an) im Euroraum verbreitet, was sich unter anderem an den Rekordpreisen für Gold zeigt.

EZB kauft Staatsanleihen

Ein Grund für die Ängste ist die Tatsache, dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) von einstigen Dogmen verabschiedete und nun den europäischen Schuldenländern mit dem Kauf von Staatsanleihen unter die Arme greift. Ein solcher Schritt kommt einem Anwerfen der Gelddruckmaschinen gleich – wenn es ohne Gegengeschäfte passiert. Die EZB versichert freilich, dass man die Mittel durch Verkäufe anderer Sicherheiten aufbringe und nicht durch das Drucken neuer Euros.

Der zweite Grund zur Sorge ist die hohe Verschuldung der Staaten. Eine hohe Inflationsrate sehen viele Wirtschaftsexperten als einzige Möglichkeit, die in den Krisenzeiten enorm gestiegenen Schulden zu reduzieren. Wenn Geld weniger wert ist, kann der Staat seine Ausstände schneller begleichen. Dabei helfen die fix verzinsten Staatsanleihen: Eine hohe Inflationsrate frisst mehr oder weniger die Kreditzinsen auf.

Doch Ökonomen sind sich in der Frage nicht einig, wie hilfreich eine hohe Inflationsrate am Ende tatsächlich ist. „Viele Staatsschulden sind heute variabel verzinst oder nur sehr kurzfristig finanziert“, erklärt Peter Mooslechner, Direktor der Abteilung Volkswirtschaft in der Nationalbank. Steigt die Inflationsrate, steigen auch die Zinsen, die der Staat zahlen muss. Die Höhe der bestehenden Staatsschuld würde sich aber reduzieren, weil Geld weniger wert wäre.

Ein Schubkarren voller Geld

Den Weg der Hyperinflation, um den Schulden nach dem Ersten Weltkrieg zu entkommen, ging einst die Weimarer Republik in den 1920er-Jahren. Nur geriet der Plan außer Kontrolle: Die Reichsbank konnte gar nicht so viel Geld drucken, wie es wieder an Wert verlor. Deutschland hatte 1922 eine Inflationsrate von 22 Milliarden Prozent, Österreich im Vergleich dazu geradezu bescheidene 1733 Prozent. Der Wechselkurs kletterte auf ein paar hunderttausend Papiermark für einen Dollar.

Menschen mussten mit Schubkarren voller Notenbündel in die Bäckerei fahren, wenn sie Brot kauften. Thomas Mann schrieb über diese Zeit: „Die Marktfrau, die ohne mit der Wimper zu zucken 100 Millionen für ein Ei verlangen kann, verliert völlig die Fähigkeit, noch von irgendetwas – und sei es noch so verrückt – überrascht zu sein.“

Arbeiter wurden in den 1920er-Jahren zweimal am Tag bezahlt. Nach der ersten Auszahlung liefen alle nach Hause, damit die Frau mit dem Geld noch schnell einkaufen gehen konnte, bevor es nichts mehr wert war.

Ähnlich erginge es heute Sparern, die Geld auf der Bank liegen haben. Zwar würden die Guthabenzinsen steigen, das Ersparte wäre aber insgesamt weniger wert. Profitieren würde von der Geldentwertung nicht nur der Staat, sondern auch der private Schuldner – so er die Kreditraten bedienen kann. Denn die Zinsen würden mit der Inflation steigen. Nur wenige Kreditnehmer in Österreich haben Fixzinssätze, und selbst bei Bausparkrediten gibt es eine Klausel, wonach die Sechs-Prozent-Grenze aufgehoben werden kann.

Voraussetzung für das Bewältigen der höheren Zinsen ist natürlich, dass die Löhne in ähnlichen Prozentsätzen steigen wie die Kreditzinsen. „Problematisch wird es, wenn die Dynamik durcheinandergerät“, erklärt Ulrich Schuh, Ökonom beim IHS.

Hund jagt Schwanz

Solange sich alle auf eine hohe Inflation einstellen können, wie in den 1970er-Jahren nach dem Ölpreisschock, sei die Situation zu verschmerzen, glaubt Schuh. Mooslechner bringt als Beispiel die Lohnabschlüsse in den 1970er-Jahren, die moderat gewesen seien und Österreich durch die Krise geholfen hätten.

Schwierig wird es, wenn man in die Lohn-Preis-Spirale gerät: Steigen die Löhne stark, müssen die Unternehmer die Preise erhöhen, um die Löhne bezahlen zu können. Dadurch müssen wieder die Löhne steigen, damit sich die Menschen die höheren Preise leisten können – und so weiter. Das sei wie ein Hund, der seinem eigenen Schwanz nachjage, erklärte ein Wirtschaftswissenschafter.

Mit der Inflation, meinte einst der Investor André Kostolany, sei es wie mit Alkohol. In kleinem Maße genossen sei er stimulierend. Man dürfe nur nicht zum Alkoholiker werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2010)

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