Eurokrise: Angst vor globalem Flächenbrand

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Auch in den USA wächst die Skepsis über das milliardenschwere Rettungspaket. Finanzminister Geithners Optimismus schwindet offenbar. Republikanische Abgeordnete wollen den Einsatz von US-Steuergeldern verhindern.

Kiel/Washington (ag./red.). Der Kraftakt zur Rettung des infolge der griechischen Tragödie kräftig ins Schlingern gekommenen Euro war enorm. Nach dem ersten kurzen Aufatmen wächst jedoch die Kritik an dem 750-Milliarden-Paket dies und jenseits des Atlantiks. Offenbar entbehren die von der EU-Taskforce am Freitag vorgeschlagenen „Folterwerkzeuge“ gegen Schuldensünder auch noch der Glaubwürdigkeit. Während in Europa führende Ökonomen das Rettungspaket als unzureichend und unkalkulierbar kritisieren, sind es in den USA vor allem Politiker und Notenbanker, die davor warnen, dass das Euro-Virus auch die USA und die Weltwirtschaft anstecken könnte.

„Wir brauchen viel mehr, um die Schuldenkrise zu bewältigen“, sagt Dennis Snower, der Präsident des deutschen Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel und stößt damit ins selbe Horn wie Werner Sinn. Der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), Hans-Werner Sinn, hat vor wenigen Tagen das Rettungspaket als „Vollkaskoversicherung ohne Selbstbehalt“ bezeichnet. Snower fürchtet, dass von den Ländern der Druck genommen worden ist, ihren Haushalt in Ordnung zu bringen.

Snowers Vorschlag: Jedes europäische Land brauche eine Schuldenkommission, die konkret den Schuldenabbau überwache. Die Regierungen würden jeweils festlegen, in welchem Zeitraum ihre langfristige Schuldenquote erreicht werden soll. Die müsste natürlich unter 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen.

Die Regierung würde auch bestimmen, wie antizyklisch die Fiskalpolitik sein solle. Die Kommission – sie sollte in jedem Land aus etwa zehn Wirtschaftsexperten bestehen – hätte die Aufgabe, den Konjunkturzyklus zu messen und festzustellen, in welcher Phase sich das Land befindet. Dann würde sie das staatliche Defizit oder den Überschuss bestimmen, um das Ziel der Regierung zu erreichen.

ifo-Chef Sinn hatte als Kontrollmechanismus eine europäische Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, die säumige Schuldner vor Gericht bringen soll.

Gleichschritt bei Steuer

Snower ist überzeugt, dass nur ein glaubwürdiger Schuldenabbau zu einer Beruhigung auf den Finanzmärkten führen und es ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum geben könnte. Er hält eine Finanzmarktsteuer für nützlich, aber nur dann, wenn sie international eingeführt wird. „Sonst wandert das Geschäft dorthin, wo es keine Steuer gibt.“ Zumindest die wichtigsten Finanzmärkte der Welt müssten mitmachen.“

Snowers Hoffnung dürfte sich zumindest in diesem Punkt nicht erfüllen. Schon jetzt, einen Monat vor dem G20-Weltfinanzgipfel in Toronto Ende Juni, zeichnet sich ab, dass es keine gemeinsame Lösung bei der Finanztransaktionssteuer geben wird. Widerstand kommt nicht nur aus den USA, sondern auch aus Kanada.

In den USA wächst freilich auch der Unmut darüber, dass Washington über die Garantien des Internationalen Währungsfonds (IWEF) für den Euro-Rettungsschirm mit zur Kasse gebeten werden könnte. Republikanische Abgeordnete wollen den Einsatz von US-Steuergeldern verhindern. Ein Gesetzesentwurf sieht vor, dass Mittel über den IWF nur dann fließen, wenn die Empfängerländer strickte Sanierungsmaßnahmen ergriffen haben.

Noch mehr wachsen allerdings die Sorgen, dass die US-Wirtschaft in den europäischen Strudel hineingezogen werden könnte und damit der weltweite Wiederaufschwung abgewürgt würde. Daniel Tarullo, einer der Gouverneure der US-Notenbank Fed, sieht in den gegenwärtigen Turbulenzen in Europa ein ernsthaftes Risiko nicht nur für die USA, sondern weltweit. Zwar sei eine Wiederholung der Finanzkrise nach dem Lehman-Desaster unwahrscheinlich, aber „nicht außer Frage“, sagte Tarullo. Ein konkretes Risiko sieht Tarullo für die in Europa engagierten US-Geldinstitute.

Geithner-Besuch in Europa

Vor diesem Hintergrund ist der Besuch von US-Finanzminister Timothy Geithner diese Woche in Deutschland und Großbritannien zu sehen. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen „Maßnahmen, mit denen das weltweite Vertrauen und die finanzielle Stabilität wiederhergestellt werden können“, verlautete aus dem Ministerium.

Geithners Optimismus schwindet offenbar. Noch vor zwei Wochen hat er erklärt, dass es Europa sicherlich gelingen werde, der Krise Herr zu werden. Die US-Wirtschaft sei stark genug, um mit jeder Art von Auswirkungen der Krise fertig zu werden. Die USA sei in einer viel stärkeren Position als Europa, um Herausforderungen zu meistern. Rückenwind erhält Geithner allerdings durch eine Umfrage unter 46 Ökonomen, die ihre Wachstumsprognosen für die US-Wirtschaft für 2010 und 2011 leicht von 3,1 auf 3,2 Prozent nach oben revidiert haben.

AUF EINEN BLICK

Die Skepsis, dass mit dem 750-Mrd.-Euro-Rettungsschirm die Probleme Europas gelöst wären, wächst. Harsche Kritik übt nach ifo-Chef Hans-Werner Sinn auch der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower. Er schlägt eine Schuldenkommission für jedes Land vor.

Inden USA wächst indes der Widerstand, dass das Land über den IWF für das Europaket mitzahlen muss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2010)

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