Finanzexperte: "Spekulanten vermeiden Blasen"

Peter Brandner, Finanzministerium  Photo: Michaela Bruckberger
Peter Brandner, Finanzministerium Photo: Michaela Bruckberger(c) (Michaela Bruckberger)
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Peter Brandner, Experte im Finanzministerium, kritisiert Verbote von Ausfallversicherungen auf Staatsanleihen. Denn es müsse jemanden geben, der die Versicherungen anbietet und daher nicht an Ausfall glaubt.

Die Presse:Die Risikoprämien für die Ausfallsversicherungen auf griechische Staatsanleihen gegen wieder dramatisch in die Höhe. Politiker vermuten dahinter Spekulanten, die das Land in den Bankrott treiben wollen – indem sie mit den Versicherungen handeln, ohne die Anleihen selbst zu besitzen. Diese Geschäfte wurden in Deutschland verboten, ein EU-weites Verbot ist geplant. Was halten Sie davon?

Peter Brandner: Solche Verbote können das Gegenteil von dem bewirken, was sie bezwecken. Diese Credit Default Swaps (CDS) bieten die beste Möglichkeit, Risiko zu managen. Der Markt für CDS auf griechische Staatsanleihen ist relativ klein, nur neun Milliarden Euro sind versichert. Das Volumen hat sich seit einem Jahr kaum geändert. Im Vorjahr waren Hedgefonds vor allem Käufer. Sie hatten also ein besseres Gespür als die EU-Politiker, dass die Dinge in Griechenland nicht zum besten standen. Heuer im Jänner, als die große Panik ausbrach, begannen sie vor allem zu verkaufen. Weil die Risikoprämien gestiegen waren, machten sie ein gutes Geschäft. Aber die Griechen können froh sein, dass es sie gibt. Hätten die Investoren ihre griechischen Anleihen nicht absichern können, dann hätten sie überhaupt keine neuen mehr gekauft und alte in großer Menge abgestoßen – Griechenland wäre plötzlich ohne Geld dagestanden.


Die deutsche Aufsichtsbehörde Bafin verbietet Leerverkäufe und ungedeckte CDS doch nicht aus Jux...

Erst im März hat die Bafin festgestellt, dass ihre Untersuchungen „keine Anhaltspunkte für massive Spekulation gegen griechische Anleihen“ liefern. Dennoch werden die verdächtigten Instrumente jetzt verboten – auf Druck der Politik? Berlin und Brüssel sind froh, dass sie einen Sündenbock für die Schuldenkrise in Südeuropa gefunden haben. Vorige Woche sickerte durch, dass die EU-Kommission das Ergebnis einer Untersuchung, die sie selbst zu diesem Thema in Auftrag gegeben hatte, unter Verschluss hält – weil auch dort herausgekommen sein dürfte, dass Spekulanten und CDS unschuldig sind.


Wer mit beliebigen Mengen von Papieren handelt, die er nicht besitzt, kann die Kurse nach unten treiben. Und wer im großen Stil Versicherungen darauf kauft, treibt die Risikoprämien in die Höhe.

Das ist ein Irrtum. Der Investor muss sein Geschäft ja mit jemandem machen, der an eine gegenläufige Kursentwicklung glaubt. Also hier jemand, der im großen Stil Absicherungen verkauft. Kaufen und Verkaufen ist keine Marktmanipulation. Außerdem: Jede offene Position muss wieder geschlossen werden. Es wird daher auch das Risiko des Spekulanten umso größer, je höhere Wetten er eingeht. Wie es mit Griechenland weitergeht, weiß niemand. Das Risiko ist also nicht kalkulierbar. Da große ungedeckte Geschäfte zu machen, wäre ein reines Hasardspiel. Die CDS-Prämien und die Anleiherenditen steigen einfach deshalb, weil das Risiko steigt.


Es gibt einen Vergleich: Eine Anleihe versichern, die mir nicht gehört, ist wie eine Feuerversicherung auf das Haus des Nachbarn abschließen. Das lädt dazu ein, es anzuzünden und die Versicherung zu kassieren.

Dieses Bild ist ebenso populär wie falsch. Wie wollen sie das Nachbarhaus sicher zum Brennen bringen, also Griechenlands Bankrott erreichen? Wie wollen Sie den fremden Ruinenrest der Versicherung übergeben, also die griechische Anleihe liefern, die sie ja gar nicht haben? Und einen Betrag zu kassieren, den sie nicht kennen, weil der Restwert der Anleihe erst – durch eine Auktion – ermittelt wird? Wollen sie sich da noch immer als Brandstifter betätigen? Man darf CDS nicht nur als Versicherung interpretieren. Finanzmärkte funktionieren anders. Dort denkt man nicht in „festen“ Begriffen wie Aktien oder Anleihen, sondern in Zahlungsströmen und ihren Risiken. So lässt sich das reine Insolvenzrisiko von den „sicheren“ Zahlungsströmen trennen und anderen verkaufen. Gerade der ungedeckte CDS-Handel, den die Politik verbieten will, ist also Sinn der Sache! Man sollte diese Finanzgeschäfte eher mit dem Automarkt vergleichen: Ihr Verbot ist so unsinnig, wie wenn der Gesetzgeber festlegt, dass man Autoreifen nur noch zusammen mit einem Auto handeln darf.


Gut, Reifen haben ja einen volkswirtschaftlichen Sinn. Aber CDS?


Durch die Handelbarkeit des Risikos wurden die Finanzmärkte liquider und können der Realwirtschaft besser dienen. Das Risiko trägt heute der, der es will und am besten kann – hier stimmt der Vergleich mit einem Versicherer. Die CDS-Prämie ist eine wertvolle, immer aktuelle Marktinformation über die Ausfallswahrscheinlichkeit des Schuldners, die sonst irgendwo im Anleihekurs „versteckt“ wäre. Denken sie an große Pensionsfonds mit strengen Anlagerichtlinien, die in Krisenzeiten nicht so schnell aus einem Engagement raus können – oder es aus strategischen Gründen nicht wollen. Für sie ist es gut, wenn sie sich versichern können. Denken sie an Pensionsfonds mit Anlagerichtlinien und fixen Strategien, die nicht so schnell aus einem Engagement raus können. Sie wollen sich absichern. Verbannt man die „Spekulanten“, findet er aber keinen Vertragspartner. Auch die Preise stimmen nicht mehr, wenn Investoren Gewinnmöglichkeiten nicht mehr nutzen können. Der „nackte“ Kauf von CDS ist – wie ein Leerverkauf – auch eine Möglichkeit, auf sinkende Kurse zu setzen. In Boomphasen kann man so einer pessimistischen Gegenmeinung Gehör verschaffen. Das hilft mit, Blasenbildungen vermeiden, und der Absturz wird weniger schmerzhaft. Alle Untersuchungen zeigen: Leerverkäufe stabilisieren die Märkte. Das gilt von Griechenland bis zum US-Hypothekenmarkt: Es wäre besser gewesen, wenn es mehr von diesen Derivaten gegeben hätte.


Meinen Sie das ernst? Es gibt doch breiten Konsens darüber, dass ein rapides Anwachsen des Derivatemarktes, also die Entkoppelung der Finanzindustrie von der Realwirtschaft, eine wesentliche Mitschuld an der Finanzkrise trägt. Es kann doch nicht gesund sein, wenn die Finanzmärkte über 100 Mal so groß sind wie die Realwirtschaft.


Diesen „Konsens“ gibt es nur in der veröffentlichten Meinung. Bei diesen Rechenspielereien werden immer die falschen Daten herangezogen. Derivate sind, wie schon der Name sagt, mit einem Grundgeschäft verbunden. Die Statistiken der BIZ (Bank für internationalen Zahlungsausgleich) weisen auch ihre „Nominalwerte“ aus - bei einem CDS ist das der Wert der Anleihe, die abgesichert wird. Nominalwerte sind eine Art Skalierung und für sich genommen ökonomisch nicht sinnvoll zu interpretieren. Beim Marktvolumen geht es aber um den Marktwert. Zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses ist er Null, weil die Prämien zur Ausfallswahrscheinlichkeit passen. Erst danach ergeben sich - durch Marktbewegungen - von Null abweichende Marktwerte. Bei den meisten Derivaten liegen sie laut BIZ deutlich unter zehn Prozent der Nominalwerte. So reduziert sich das scheinbar so dramatische Verhältnis Finanz- zu Realwirtschaft. Mehr noch: Wenn ein Kunde sein Risiko reduzieren möchte, in dem er einen CDS kauft, wird in der Regel seine Hausbank dieses Risiko nicht behalten wollen. Meist vermitteln es mehrere Dealer weiter, bis ein endgültiger Vertragspartner gefunden wird. Für alle Gegenpositionen, die bei diesen Transaktionen eingegangen werden, wird der Nominalwert nochmals gezählt. So kommen dann diese Horrorzahlen zustande. Wer von Finanzmärkten spricht, die wegen dieser Nominalwerte von jeder Realität abgekoppelt sind, versteht entweder diese Märkte nicht oder verfolgt ideologische Zwecke.


Dennoch ist es Faktum, dass der Derivatemarkt seit dem Jahr 2000 massiv angewachsen ist. Dann kam die größte Finanzkrise der letzten 80 Jahre. Viele Experten sehen einen Zusammenhang, manche nennen CDS sogar „Massenvernichtungswaffen“.


Die aktuelle und alle früheren Finanzkrisen hatten andere Gründe. Es gab eine Blase bei den Immobilienpreisen, auf die fast niemand reagiert hat. Die Kredite waren zu billig, weil die Geldpolitik zu expansiv war. Die Banken operierten mit zu viel Fremdkapital. Dann kam das Problem der Verbriefungen dazu. Diese mit Hypotheken besicherten Schuldpapiere waren tatsächlich fatal – weil sie von den Banken missbräuchlich verwendet wurden. Wer seine Kredite verbrieft und Ausfallsrisiken verkauft, müsste Teile der riskantesten Tranche selbst behalten. Stattdessen bürgerte es sich ein, diese Tranchen zur Gänze zu verkaufen. Das wird künftig vermieden: Eine Richtlinie der EU-Kommission von 2009 zwingt die Banken dazu, fünf Prozent der riskantesten Tranche zu behalten.


Zurück zu den CDS: Wenn diese angeblich so „guten“ Derivate die Krise vielleicht nicht ausgelöst haben, haben sie sie mit ihren starken Kursausschlägen doch sehr wohl verstärkt.

Weder Bear Sterns noch Lehman Brothers sind wegen der CDS zugrunde gegangen, die sie gehandelt haben. Bei AIG haben sie eine Rolle gespielt, aber neben einer Reihe anderer Investitionen – die eines gemeinsam hatten: alle hatten mit Hypotheken zu tun. Die Ursache war also der einstürzende Häusermarkt.

Es wird auch vermutet, dass die Kurse manipuliert wurden.

In liquiden CDS-Märkten ist das fast ausgeschlossen. Aber im Herbst 2008 waren manche Märkte nicht mehr liquide. Schon möglich, dass hier einige Hedgefonds mit gezielten CDS-Käufen den Eindruck schufen, dass es einer Firma schlecht geht, und parallel dazu auf sinkende Kurse ihrer Aktien gewettet hat. Es ist allerdings fraglich, ob solche hoch riskanten Strategien sich lohnen.

Sollten diese Geschäfte besser über Clearingstellen laufen?



Für standardisierte Produkte wäre das eine sinnvolle Regulierung. Die Transparenz wird erhöht und die Kosten gesenkt. Für nicht standardisierte Produkten – auch dafür gibt es Bedarf aus der „Realwirtschaft“ – könnten Clearingstellen das Systemrisiko sogar erhöhen.

Wie sieht es mit den Hedgefonds aus?

Wir brauchen eher mehr als weniger Hedgefonds, weil gerade sie auf Geschäfte gegen die Marktstimmung spezialisiert sind. Alle Untersuchungen – von Asienkrise bis zur jetzigen Krise – haben gezeigt, dass die Finanzkrisen nicht durch Hedgefonds verursacht wurden. Und um ihre Anleger brauchen sie sich keine Sorgen machen, das sind reiche Investoren. Die Regulierungsdebatte sollte sich auf andere Themen konzentrieren.

Europas Spitzenpolitiker sprechen auch von gezielten Attacken gegen den Euro. Das hat es ja schon gegeben: Soros hat das britische Pfund 1992 mit einer Wette in die Knie gezwungen.


So etwas kann nur bei einem System fixer oder in einem Korridor schwankender Wechselkurse ein Thema sein. Dann kann ein Investor darauf wetten, dass diese Bindung nicht aufrecht zu erhalten ist – weil die Zentralbank nur eine endliche Menge an Devisenreserven zur Verteidigung der Kurse einsetzen kann. Der Euro ist aber eine frei schwankende Währung, ohne Bindung. Es ist deshalb schon aus logischen Gründen unsinnig, von Attacken gegen den Euro zu sprechen: Gegen wen sollte denn da spekuliert werden?


Mit ihren Ansichten stehen Sie aber ziemlich allein da...

Auf den ersten Blick vielleicht. In Österreich gibt es medial sehr präsente „Experten“, die die Finanzkrise einseitig und allzu simpel erklären. Wo sich Ökonomen ernsthaft mit den Märkten beschäftigen, denken viele so wie ich.

(Die Presse, Printausgabe, 26. 06. 2010)

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