Island in Schuldenfalle: "Es gab ja schon Selbstmord"

Island Schuldenfalle schon Selbstmord
Island Schuldenfalle schon Selbstmord(c) EPA (SIGURDUR J. OLAFSSON)
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Fremdwährungskredite, die den Isländern das Zwei- oder Mehrfache ihrer jetzigen Schulden abverlangen würden, könnten bald schlagend werden. Der Protest gegen die Regierung wächst. Eine Reportage.

REYKJAVIK. „50 statt 15 Millionen Schulden“, sagt Bjorn Ofeigsson und schüttelt den Kopf. „Das ist ja nicht zu glauben.“ Der junge Filmemacher will noch nicht wahrhaben, was in seinem Land, in Island, bald schlagend werden könnte: dass nämlich „böse“ Fremdwährungskredite aus den Vorjahren fällig werden, die den Isländern das Zwei- oder Mehrfache ihrer jetzigen Schulden abverlangen würden.

Für Bjorn Ofeigsson wären das mit einem Schlag 50 Mio. isländischer Kronen (knapp 318.000 Euro) statt 15 Mio. Kronen (mehr als 95.000 Euro). Statt zehn Jahre müsste er seine Schulden wohl 30 Jahre lang abbezahlen, sagt er. Und „auf ewig“ in seinem neuen Haus in Reykjavik wohnen bleiben, mit dem er haftet, klagt Ofeigsson bei einem „Presse“-Lokalaugenschein in Island. Dabei will Ofeigsson später vielleicht woanders leben.

Vorläufig schützt die Isländer noch ein Urteil ihres Verfassungsgerichtshofs vor einer Schuldenexplosion. Das Gericht hat bestimmte Fremdwährungskredite infolge der Finanzkrise von 2008 erst Ende des Vormonats für illegal befunden. Derzeit müssen die vermittelnden Banken dafür geradestehen. Doch die Regierung könnte den Isländern im Parlament einen Strich durch die Rechnung machen. Wie in Reykjavik verlautete, will sie die Banken – die drei isländischen Banken sind seit der Krise verstaatlicht – besser schützen. Am Ende könnte die Regierung, auf diesem Umweg, das Urteil des Verfassungsgerichts aushebeln. Neben Ofeigsson säßen tausende der mehr als 300.000 Isländer in der Schuldenfalle. Zu sorglos haben sie in den Vorjahren zugegriffen, wenn Banken einen oder mehrere „Billigkredite“ angeboten haben: für das Haus, für ein Auto, warum nicht auch für ein Zweitauto?

„Ich bin noch optimistisch“, sagt Ofeigsson dazu, dass das Urteil des Verfassungsgerichts halten könnte. Sonst werde er „sehr hart arbeiten“ müssen, um seine Schulden zu begleichen. Das glaubt auch der junge Forscher Gunnar Sigurdsson. Vielleicht werde er sogar einen zweiten Job ausüben müssen – aber woher nehmen in der Krise?

Wie die beiden jungen Männer haben sich in der Vorwoche 300 weitere Isländer aufgemacht, um im Regierungsviertel von Reykjavik Stimmung gegen eine Neuregelung zu machen. Die Regierung dürfe das Urteil des Verfassungsgerichts nicht durch neue Finanzregeln ins Wanken bringen, appellieren sie bei einem Diskussionsabend mit Vertretern der Regierung. Auch Wirtschaftsminister Gylfi Magnusson spricht vom Podium des Kulturgebäudes „Idno“. „Ich will mich mit euch austauschen“, sagt er.

Den Leuten ist das nicht genug. „Am besten sollte die Regierung ausgetauscht werden“, sagt Sigurdsson. Weil die Minister zu wenig gegen die Krise täten, weil sie die Menschen nicht ausreichend informieren würden. „Keiner sagt, was eigentlich nach dem Urteil kommt“, sagt der Isländer zur Vorgabe des Verfassungsgerichts – und zur politischen Diskussion darüber.

„Die Auswirkungen des Urteils müssen erst genau geprüft werden, das Gericht hat uns in großem Maße Unsicherheit beschert, welche Kreditverträge eigentlich betroffen wären und welche Zinsraten auf illegal eingestufte Verträge anzuwenden wären“, sagt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums dazu zur „Presse“. Ob am Ende die Banken oder ihre Kunden „gewinnen“, läge allein beim Verfassungsgerichtshof. Das Ministerium sei hier kein Schiedsrichter, es sei aber „um ein gesundes Finanzsystem bemüht“, betont der Sprecher. Kosten für den Steuerzahler müssten in der Krise minimiert werden.

Hoffen auf die EU

„Es gab ja schon Selbstmorde, auch in meinem Bekanntenkreis“, nennt der Physiologie-Professor Thor Eysteinsson die schlimmsten Konsequenzen der Krise. „Wobei da mehr zusammengekommen ist als die Schulden.“ Was für Island der beste Weg aus der Krise sei? Ein Beitritt zur Europäischen Union sei überlegenswert, findet Eysteinsson. Auch Forscher Sigurdsson ist dieser Ansicht. Das größte Hindernis von Seiten der Isländer, die gewünschte Souveränität in der Fischereipolitik, solle keines sein, findet Sigurdsson: „Die Fischerei ist jetzt schon in den Händen weniger Konzerne. Da schadet die EU nichts. Und beim Geld kann sie uns nur nützen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2010)

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