Hitlers offene Rechnungen: Muss Deutschland zahlen?

Hitlers offene Rechnungen: Muss Deutschland zahlen?
Hitlers offene Rechnungen: Muss Deutschland zahlen?(c) ORF (Bild zur ORF-Doku 'Der 2. Weltkrieg - Hitler unterwirft Europa')
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Nach der Machtergreifung stellte Hitler Zahlungen an Investoren aus den USA ein. Nun fordern diese ihr Geld samt Zinsen zurück. Ein US-Berufungsgericht hat eine entsprechende Klage zugelassen.

Wien.Dieser Fall könnte Deutschland ganz schön teuer zu stehen kommen. Eine Investorengruppe aus den USA klagt die Bundesrepublik auf Entschädigung für Anleihen, die Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik ausgegeben hatte. Ein US-Berufungsgericht hat die Klage nun zugelassen und sie an ein Bezirksgericht in Miami verwiesen.

Deutschland hatte die Anleihen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aufgelegt, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Nachdem Adolf Hitler 1933 Reichskanzler wurde, stellte er die Zahlungen an die ausländischen Gläubiger jedoch ein. Nun will die Investorengruppe „World Holdings“ ihr Geld zurück, wie die Nachrichtenagenturen AFP und Bloomberg berichten. Das in Tampa, Florida, ansässige Unternehmen macht Ansprüche von über 450 Mio. Dollar (347 Mio. Euro) geltend. Dabei handle es sich um Rückzahlungen und Zinsen, sagte Michel Elsner, Anwalt der Beschwerdeführer.

„Sie haben schon in den 1930er-Jahren beschlossen, dass sie diese Schulden nicht zahlen werden“, sagte Elsner weiter. Ein Verfahren könne nicht mit dem Argument abgelehnt werden, dass die Bundesrepublik Deutschland ein souveräner Staat sei. Das geht laut Elsner aus dem Urteil hervor.

Die deutsche Botschaft in Washington wollte zunächst keine Stellungnahme abgeben. Die deutsche Bundesregierung habe Elsner zufolge argumentiert, dass der Großteil der Anleihen nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgezahlt worden sei. Viele Schuldscheine seien aber von sowjetischen Soldaten gestohlen worden.

Anwalt: „Schulden nicht bezahlt“

Kläger-Anwalt Elsner weist das im Gespräch mit der „Presse“ zurück. Er besitze klare Beweise für die Unrichtigkeit der Behauptung Deutschlands, dass die Papiere schon bezahlt oder gestohlen worden seien. Mit der Entscheidung des Berufungsgerichts sei er sehr zufrieden. Dem kommenden Prozess, in dem endgültig entschieden werden soll, ob Deutschland die Anleihen samt Zinsen tilgen muss, blicke er überaus optimistisch entgegen. Er sei zuversichtlich, dass seine Klienten das ihnen zustehende Geld bekämen.

Das Berufungsgericht hält fest, dass es sich dabei nicht um eine inhaltliche Stellungnahme handelt. „Das ist keine Entscheidung darüber, ob die Forderungen von World Holdings tatsächlich durchsetzbar sind“, heißt es in der Begründung. Das zuständige Bezirksgericht könne immer noch zu dem Schluss kommen, dass die von World Holdings gehaltenen Anleihen, deren Wert das Unternehmen mit 208 Mio. Dollar beziffert, wertlos sind. Die Entscheidung betreffe nur die Zuständigkeit.

„An der Verantwortlichkeit wird es nicht scheitern“, sagt Stephan Wittich vom Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Universität Wien zur „Presse“. Das Deutschland von heute sei die gleiche Rechtspersönlichkeit wie das von damals.

Der Völkerrechtler sieht aber andere Schwierigkeiten, die sich den Beschwerdeführern in den Weg stellen könnten. Zunächst müssten die Anleihen beglaubigt werden, und zwar auf Basis eines „klassischen Nachkriegsgesetzes“ aus dem Jahr 1953. Deutschland hatte im Rechtsstreit diese Regel eingewendet, die Kläger aber argumentieren, dass es gar keine geeignete Behörde dafür gebe.

„Das wird sehr schwierig sein“, so Wittich. Schließlich müsse der Marktwert der Anleihen ermittelt werden, was noch einmal schwierig ist, weil sie ja nicht mehr gehandelt werden. Man müsse laut Wittich schätzen, wie sich diese Anleihen entwickelt hätten, wären sie nicht eingestellt worden. Sollte das US-Gericht also entscheiden, dass die Ansprüche der Kläger bedient werden, so werde es laut Wittich auf eine Entschädigungszahlung hinauslaufen: „Restitution ist unmöglich.“ Restitution hieße, den Zustand von damals wiederherzustellen und die tatsächlichen Schulden zu bedienen.

Für „Zar-Anleihen“ entschädigt

Mit einer Entschädigungszahlung endete auch ein ähnlich gearteter Streitfall zwischen Frankreich und Russland. Das russische Zarenreich hatte in den Jahren von 1880 bis 1917 Anleihen an 1,6 Millionen Anleger ausgegeben, um vor allem den Bau der Eisenbahn zu finanzieren. Nach der Oktoberrevolution im Jahr 1917 weigerten sich die Bolschewiki, die Schulden anzuerkennen und zu bedienen.

Nach jahrelangen, zähen Verhandlungen zwischen Russland und französischen Erben der Gläubiger einigten sich Moskau und Paris schließlich auf Entschädigungszahlungen im Umfang von 400 Millionen Euro.

Auf einen Blick

Ein US-Gericht hat eine Klage einer Investorengruppe gegen Deutschland zugelassen. Das Konsortium fordert von der Bundesrepublik Geld für Anleihen, die seit Hitlers Machtergreifung nicht mehr bedient wurden. Es handelt sich um mehr als 450 Mio. Dollar (347 Mio. Euro). Der Fall liegt nun bei einem Bezirksgericht in Miami.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2010)

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