Rumänien: Mit Nazigeld den Staatshaushalt sanieren

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In Rumänien tobt eine heftige Diskussion um riesige Schulden, die Deutschland in dem osteuropäischen Land während des Zweiten Weltkriegs angehäuft hat. Ob Bukarest eine Chance auf Rückzahlung hat, ist offen.

Rumänien steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit der Wende, und die Regierung sucht verzweifelt nach Möglichkeiten, das Haushaltsdefizit auszugleichen. Ob Kürzungen bei den Gehältern im öffentlichen Sektor, Mehrwertsteuererhöhungen oder Entlassungen von Lehrern und Beamten – Sparen ist überall angesagt. Doch Not macht nicht nur Politiker erfinderisch: Seit einigen Wochen debattieren rumänische Medien und Blogger über immense Schulden, die Deutschland Rumänien möglicherweise nicht zurückgezahlt hat. Die Diskussion weckt Begehrlichkeiten: Auch wenn Deutschland nur einen Teil dieser „Altlasten“ an Rumänien zahlte, könnte der Staatshaushalt entlastet werden.

Die Sache liegt fast 70 Jahre zurück. 1939 wurde zwischen dem Königreich Rumänien und dem Dritten Reich ein bilaterales Wirtschaftsabkommen unterzeichnet. Der Vertrag basierte auf dem „Neuen Plan“, der von Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht eingeführt worden war. In diesem Clearing-Vertrag verpflichtete sich der rumänische Teil, „die deutschen Einfuhrbedürfnisse zu befriedigen“, vor allem durch Exporte von Landwirtschaftsprodukten, Holz, Mineralöl, Metallen und anderen Rohstoffen. Nazi-Deutschland zahlte nicht mit Devisen, die knapp waren, sondern mit der Ausfuhr von Sachwerten – etwa Eisenbahnanlagen und Waffen.


Deutschland fehlten Devisen.
Um Wechselkursverluste zu vermeiden und den Handel unter staatlicher Kontrolle zu behalten, sah das Abkommen vor, dass der Zahlungsverkehr nicht direkt, sondern über die entsprechenden Notenbanken abgewickelt werde.

Ein typischer Clearing-Vertrag, der dem damals akuten Devisenmangel in Deutschland Rechenschaft tragen sollte, erklärt dazu der rumänisch-deutsche Ökonom Radu Golban, der im Zuge seiner Forschungen das Abkommen entdeckt hat. Solche Verträge habe Nazi-Deutschland nicht nur mit Rumänien, sondern auch mit anderen osteuropäischen Staaten abgeschlossen, erklärt der Ökonom. Das System trieb die Staaten auf dem Balkan in ein quasikoloniales Abhängigkeitsverhältnis von Deutschland.

Während des Krieges ist der Rohstoffbedarf Deutschlands massiv gestiegen und dementsprechend haben sich auch die Rohstoffimporte erhöht. Die Clearing-Stelle der Reichsbank konnte jedoch nur wenig Geld nach Rumänien überweisen. Im September 1944 habe Deutschland Rumänien deshalb bereits mehr als eine Milliarde Reichsmark geschuldet, so Golban. Konservativen Schätzungen zufolge entspreche dies unter der Annahme eines niedrigen Zinssatzes von 2,5 Prozent einem heutigen Wert von 18,8 Milliarden Euro. Eine riesige Summe also, die fast so hoch ist, wie der gesamte Kredit, den der Internationale Währungsfonds (IWF) Rumänien vor einem Jahr gewährt hat.

Trotz Anfragen der Medien vermeiden das Finanzministerium und die Notenbank in Bukarest bisher eine offizielle Stellungnahme. „Aus Angst vor einer eventuellen Verschlechterung der Beziehungen mit Deutschland“, meint der Blogger Dan Popa, der die Schuldenaffäre in der Öffentlichkeit bekannt machte. Tatsächlich wären für Bukarest angespannte Beziehungen mit einem weiteren westeuropäischen Land nach dem Zwist mit Frankreich in der Roma-Frage wenig wünschenswert.


Berlin in Warteposition.
Nun hat das Thema auch Deutschland erreicht. Aber auch Berlin gibt sich sehr bedeckt. Eine Anfrage eines rumänischen Wirtschaftsinstituts ist seit zwei Monaten unbeantwortet. Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke) hat das Bundesfinanzministerium knapp geantwortet, dass Rumänien nach dem Krieg 1947 auf die Rückzahlung sämtlicher Schulden verzichtet habe.

Dies sei aber nicht der Fall, sagt Ökonom Golban. Rumänien hat laut dem Pariser Friedensabkommen auf Ansprüche verzichtet, die nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 entstanden sind. Der Clearing-Vertrag wurde aber schon am 23. März 1939 unterzeichnet. Die aufgrund dieses Vertrags geschuldete Summe bleibe also von dem Verzicht unberührt, ist Golban überzeugt.

Politisch dürfte Rumänien jedoch eine Forderung nur schwer durchsetzen können. Denn Rumänien war kein Naziopfer, sondern ein Verbündeter des Hitler-Regimes. Wenn das Geld zur Entschädigung von Opfern des rumänischen faschistischen Regimes verwendet würde, würden die Chancen laut Golban steigen.

Die Diskussion dürfte jedenfalls nicht auf Rumänien beschränkt bleiben. Deutschlands Clearing-Schulden gegenüber Kroatien und Ungarn haben ebenfalls jeweils rund eine Milliarde Reichsmark ausgemacht. n-ost

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2010)

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