Irland - ein Staat vor dem Untergang

(c) AP (Frank Franklin II)
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Verzweifelt stemmt sich die Regierung gegen den Staatsbankrott. Doch die Stürme wollen nicht vorüberziehen. Dublin scheint dem Wüten der Finanzmärkte nichts entgegenzusetzen zu haben. Experten warnen vor Unruhen.

Nicht nur schwere Regenfälle und Winde mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 140 km/h erschüttern in diesen Tagen Irland. Schlimmer noch für die Grüne Insel ist das Wüten der Finanzmärkte. Verzweifelt stemmt sich die Regierung unter Toiseach (Ministerpräsident) Brian Cowen gegen den Staatsbankrott. Doch zunehmend vergeblich. Der Ökonom Morgan Kelly schrieb diese Woche in einem aufsehenerregenden Beitrag für die angesehene „Irish Times“: „Die Republik Irland hat als unabhängige budgetäre Einheit zu existieren aufgehört und ist zu einer Abteilung der Europäischen Zentralbank geworden.“

Tatsächlich scheint Dublin dem Stürmen und Tosen der Finanzmärkte nichts mehr entgegenzusetzen zu haben. Selbst ein in offenkundiger Panik verkündetes Radikalpaket der Regierung, das innerhalb der nächsten vier Jahre das Haushaltsdefizit um 15 Milliarden Euro und damit von derzeit 32 Prozent auf drei Prozent des BIPs im Jahr 2014 herunterfahren soll, verfehlte seine Wirkung. Die Aufschläge auf irische Staatsschuldscheine erreichten in den vergangenen zwei Wochen täglich neue Rekorde, mittlerweile werden sie zu Konditionen wie jene der Ukraine oder Pakistans gehandelt.

„Das kommt einer Selbstmorderklärung gleich“

Selbst die tapferen Worte von EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn halfen nichts. Bei einem Besuch in Dublin Anfang dieser Woche bezeichnete er den Regierungsplan als „praktikabel“. Zudem betonte er zur Freude seiner Gastgeber, dass Irland um keine Finanzhilfen der EU angesucht habe. Auch ein Zahlungsausfall der Grünen Insel sei kein Thema. Beides schließt die irische Regierung kategorisch aus. Finanzminister Brian Lenihan: „So etwas auch nur in Erwägung zu ziehen, kommt einer Selbstmorderklärung gleich.“

Es sind Worte, die er noch bereuen wird. Denn unter Beobachtern wächst die Überzeugung, dass ein Staatsbankrott Irlands unausweichlich sei, der auch die Regierung zu Fall bringen würde. „Kennen Sie den Unterschied zwischen Irland und Griechenland?“, fragt der Finanzwissenschaftler Constantin Gurdgiev vom Trinity College Dublin im Gespräch ironisch: „Der Zeitpunkt: In sechs Monaten sind wir dort, wo Griechenland vor sechs Monaten war.“

Was Irland finanziell in den Abgrund zu stoßen droht, ist die Rettung der Banken. Sie haben den Immobilien-Boom in der Hochkunjunkturphase von 1997 bis 2007 leichtfertig angefeuert. Als dann die Blase platzte und die USA die Weltwirtschaft in die Krise schickten, musste der Staat die Banken vor dem Bankrott retten. Irland war das erste Land der EU, das im September 2008 im Alleingang eine generelle Bankengarantie aussprach – sehr zum Unwillen der europäischen Partner, die sofort ebenfalls unter massiven Druck verunsicherter Sparer und Anleger kamen, und – wie sich mittlerweile herausstellte – wohl auch zum eigenen Nachteil Irlands.

Größenwahnsinnige Banker

Denn Irland öffnete damit ein Fass ohne Boden. Wer heute ein Pub in Dublin besucht, wird kaum einer politischen Diskussion entkommen, in der die Volkesstimme nicht lautstark und vehement behauptete, die damalige Bankengarantie sei nichts als ein Rettungsschirm für korrupte Bauherren und größenwahnsinnige Banker gewesen. Oder, wie ein Spaziergang zu den Bauruinen der irischen Hauptstadt und den nie vollendeten megalomanischen neuen Hauptsitzen der Banken zeigt, vielleicht war es auch umgekehrt: größenwahnsinnige Bauherren und korrupte Banker. Unbestritten jedenfalls ist, dass beide Gruppen auf die Fianna-Fáil-Partei besonders unter Expremier Bertie Ahern bestimmenden Einfluss hatten.

Es war dies die gloriose Zeit des „Keltischen Tigers“, als ein Niedrigsteuersatz von 12,5 Prozent Unternehmen aus aller Welt nach Irland lockte. Microsoft, Pfizer, Dell, Siemens – die ersten Namen der Weltwirtschaft gaben den Iren 70 Jahre nach der Unabhängigkeit und Generationen bitterer Armut endlich das Gefühl, den Anschluss geschafft zu haben. Als Eurostat Irland 2007 zum zweitreichsten Land der EU erklärte, knallten auf der Insel die Sektkorken. Die Politologin Etain Tannam aber sagt heute: „Damals wurden wir zu einer Gesellschaft, in der sich der Wert eines Menschen danach bestimmte, welches Auto er fährt und wie viele Zimmer sein Haus hat.“

Das alles war, wie sich beim Zusammenbruch der Wirtschaft 2008 herausstellte, größtenteils auf Pump finanziert. Allein die Rettung der Anglo Irish Bank kostete den Staat – und damit den Steuerzahler – bisher 32 Milliarden Euro. Die Regierung schwört, dass es dabei bleiben wird. Doch ist das noch lange nicht alles. Wirtschaftsprofessor Morgan Kelly rechnet damit, dass die Rettung weiterer Banken wie der AIB oder der Bank of Ireland noch einmal so viel kosten wird. Sein Kollege Gurgiev sieht das ähnlich: „Ich halte derzeit bei 69 Milliarden Euro Gesamtkosten.“ Davor hat der Staat den Banken bereits faule oder notleidende Immobilienkredite von 77 Milliarden Euro abgenommen und in einer dafür gegründeten „Bad Bank“ geparkt.

Obwohl das Land all diese Rechnungen längst nicht mehr bezahlen kann, hält die Regierung an ihrem Kurs unverrückbar fest. Glaubt man Cowen und Lenihan, werde damit das Vertrauen der Märkte gestärkt. Daher zahlt Irland seine Verbindlichkeiten peinlich genau zurück, auch wenn dies nur mehr mithilfe der Europäischen Zentralbank geht: Ohne die diskreten Interventionen der EZB wäre das Land längst nicht nur insolvent, sondern auch illiquid. Bis mindestens zum Ende des ersten Quartals 2011 hofft die Regierung derzeit, ausreichend mit Cash versorgt zu sein und nicht auf die Bondmärkte zurückkehren zu müssen.

Neue Gefahr durch Hypothekarkredite

Indes droht in Irland eine weitere akute Gefahr: Hunderttausende Bürger können ihre Hypothekarkredite kaum oder überhaupt nicht mehr zurückzahlen. „Nur fallende Hauspreise und das soziale Stigma der Zahlungsunfähigkeit haben bisher eine Flutwelle verhindert“, warnt Kelly. Von 270.000 neuen Hauseigentümern aus den letzten Boom-Jahren befinden sich heute 200.000 mit ihrem Eigentum in den roten Zahlen. Eine Gruppe von Ökonomen forderte diese Woche in einem Zeitungsartikel einen Schuldenerlass. Kelly sieht nicht nur Milliarden an Krediten verloren, sondern warnt auch vor schwersten politischen Konsequenzen: „Eine Familie, die ihren Kredit nicht zurückzahlen kann, ist geächtet. 200.000 Haushalte, die nicht zahlen können, sind eine politische Macht.“

Angesichts dieser dramatischen Lage stellt sich die Frage, warum Irland nicht den Weg Griechenlands geht. Die Politik der EZB versorgt Dublin wie einen Suchtkranken mit immer neuem Stoff (Bargeld), doch die wahren Nutznießer sind auch hier die Dealer: die deutschen, französischen und britischen Großbanken, die den Großteil der irischen Bonds halten und unter keinen Umständen Ausfälle hinnehmen wollen, wie sie ihnen von Berlin nun angedroht werden.

Irgendwann aber wird sich Irland dem Unausweichlichen fügen und unter den Euro-Schutzschirm flüchten müssen. In Dublin heißt es hinter nicht allzu vorgehaltener Hand: „Es geht eigentlich nur mehr darum, welchen Zinssatz wir herausschlagen. Jene fünf Prozent, die Griechenland zahlt, würden uns umbringen.“

So dramatisch die Lage in Irland ist, die wahre Sorge der EU gilt anderen: Während die Grüne Insel 2008 laut Eurostat nur 1,5 Prozent zur Gesamtwirtschaft der EU beitrug, waren es im Fall von Italien 12,6 Prozent und Spanien 8,8 Prozent. Dort warten die nächsten Horrorszenarien. Kelly meint: „An Irland ein Exempel zu statuieren, soll Italien und Spanien zu rigoroser Haushaltsdisziplin zwingen.“

Griechenland in Grün

32 Prozent Budgetdefizit (gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung) erwartet Irland für das laufende Jahr.
32 Milliarden Euro hat der Staat allein für die Rettung der Anglo Irish Bank ausgegeben. Weitere Banken dürften folgen.
69 Milliarden Euro wird die Rettung der Banken in Summe kosten, schätzt der Ökonom Morgan Kelly. Dublin dürfte demnächst die EU um Finanzhilfe ersuchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2010)

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