„Afrika wendet sich schon von Europa ab“

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Afrika als großer Agrarexporteur: Dafür braucht es keine Spenden, sondern Straßen und neue Märkte, sagt Harvard-Professor Calestous Juma. China biete dem Kontinent mehr als der „bevormundende“ Westen.

Die Presse: In Ihrem neuen Buch „The New Harvest“ behaupten Sie, Afrika könne in einer Generation zu einem großen Nahrungsmittelexporteur werden. Was muss dafür passieren?

Calestous Juma: Am wichtigsten ist die Infrastruktur: Straßen, Schienen, Wasserversorgung und Telekommunikation. Der Kontinent braucht aber auch neue Märkte. Derzeit bauen viele afrikanische Staaten regionale Märkte auf. Wenn der Handel dort funktioniert, können die Afrikaner auch über die Grenzen exportieren.

Das klingt sehr optimistisch. In den vergangenen 50 Jahren stieg die weltweite Agrarproduktion um 145 Prozent. In Afrika ist sie gefallen. 250 Millionen Afrikaner sind unterernährt. Was ist da schiefgelaufen?

Herrschende Lehre war, staatliche Ausgaben zu kürzen. Dadurch wurden in Afrika zwei kritische Bereiche unterversorgt: Infrastruktur und höhere Bildung. Beide sind essenziell für die Modernisierung der Landwirtschaft. Schuld waren ideologische Entscheidungen. Diese wurden getrieben von der Idee von IWF und Weltbank, unbedingt liberalisierte Märkte durchzusetzen. Aber freie Märkte funktionieren nicht, wenn du die Waren nicht transportieren kannst.

Ohne Straßen und Autos also keine Liberalisierung?

Heute ist der Markt doch frei. Zumindest auf dem Land kann er aber nicht funktionieren, wenn die Bauern ihre Produkte nur auf dem Kopf transportieren können.

Diese Infrastruktur kostet Geld. Woher soll das kommen?

Afrika fehlt es nicht an Geld. Afrika mangelt es an Koordination. Die meisten Länder haben Budgets für Straßen, aber sie verbinden damit nur die großen Städte. Das Beispiel China zeigt jedoch, dass auch billige Landstraßen die Agrarproduktion stark steigern können. Das Geld ist da, bauen könnte die Straßen das Militär.

Europa und die USA schicken jährlich Tonnen an Lebensmitteln und hunderte Millionen Euro an Entwicklungshilfe nach Afrika. Können sie damit also aufhören?

Sie sollten eine andere Art von Entwicklungshilfe anbieten. Sie könnten Menschen ausbilden, damit diese Bewässerungssysteme bauen können. Nahrungsmittel zu schicken ist der falsche Weg. Damit füttert man Menschen nur, schafft ansonsten aber nichts. Für Afrika wäre es besser, wenn Europa Maschinen nach Afrika verkauft, statt einfach Nahrung zu verteilen.

Einige Weltbank-Ökonomen klagen, dass Entwicklungshilfe in Afrika in den Taschen korrupter Regimes versickert. Derzeit ist China in Afrika sehr aktiv. Gibt es hier ähnliche Probleme?

Zuerst ist die Weltbank eine Bank und keine Hilfsorganisation. Der größte Unterschied zu China ist: Wenn China Geld leiht, bringt es auch eigene Firmen mit den nötigen Maschinen. Wenn ein Damm gebaut werden muss, wissen sie, wie das geht. Die Weltbank weiß nicht, wie man einen Damm baut. Sie muss Studien in Auftrag geben und Ausschreibungen machen. Je mehr Firmen und Menschen involviert sind, desto höher ist auch die Gefahr, dass Geld verschwindet.

Sie gelten als Kritiker Europas, wenn es um Afrikas Entwicklung geht. Welche Fehler wurden da gemacht?

Europa muss zuerst seinen Blick auf Afrika ändern. Das ist schwierig, weil es dazu tendiert, Afrika zu bevormunden, und zu wissen glaubt, was gut für den Kontinent ist. Stattdessen sollten die Europäer erkennen, dass Afrika Kompetenz aufbauen und seine eigenen Probleme lösen muss. Gut wäre: mehr Fokus auf Unternehmen und Universitäten und weniger Fokus auf Hilfsorganisationen.

So wie es die Chinesen tun?

Europa sieht Afrika so wie vor 50 Jahren. China hat hingegen einen eigenen Thinktank gegründet, nur mit dem Ziel, Afrika besser zu verstehen. China gibt keine Hilfsgelder, bemüht sich aber, Afrikas Kompetenz zu stärken.

Hat China Afrika mehr zu bieten als der Westen?

Afrika kann viel von China lernen, denn die Probleme beider sind ähnlich. China hat seine Armut vor allem durch starkes Wachstum in der Landwirtschaft bekämpft. Man konzentriert sich darauf, dass die Dinge funktionieren. Wenn eine Straße fehlt, bauen sie eine Straße. Der Westen hat sich Afrika immer über die Ideologie genähert.

Was riskiert Europa konkret, wenn es seinen Blick auf Afrika nicht ändert? Derzeit importiert die EU außer Baumwolle und Kakao nur wenig aus Afrika.

Afrika ist schon dabei, sich von Europa abzuwenden und sich stattdessen China, Indien und Brasilien zuzuwenden. Der Einfluss der Europäer sinkt. Beim Klimagipfel in Kopenhagen vergangenes Jahr ist Afrika erstmals als Block aufgetreten. Die alten kolonialistischen Fäden kann Europa nicht länger ziehen. Afrika würde gern enger mit Europa zusammenarbeiten, aber dafür muss sich etwas ändern.

Was wünschen Sie sich denn konkret? Ein Ende der EU-Exportsubventionen für Nahrungsmittel? Einen entspannteren Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU?

Am schlimmsten ist, dass Afrika keinen Zugang zum europäischen Markt hat. Langfristig wird das auch die Handelsbeziehungen europäischer Exporteure zu Afrika schwächen. Wenn Afrika Rohmaterialien nach Europa exportieren will, muss es hohe Tarife bezahlen. China hat im Gegensatz dazu den Zoll bereits reduziert.

Wie erklären Sie sich das? Der Schutz europäischer Bauern ist offensichtlich politisch gewünscht. Aber Rohstoffe aus Afrika sind doch ein gefragtes Gut?

Ich glaube, es liegt an der Trägheit in Europa. Wenn man neue Gesetze beschließen will, dauert das einfach zu lange. Ich glaube nicht, dass Europa Afrika absichtlich unterentwickelt halten will. Das System ist zu schwer zu ändern.

Seit einigen Jahren haben viele Staaten begonnen, in großem Stil Agrarland in Afrika aufzukaufen. Die Weltbank sieht das eher kritisch. Was ist Ihre Meinung dazu?

Man weiß nur wenig über diese Vereinbarungen. Ich glaube aber, dass es nicht wichtig ist, wer das Land besitzt. Wichtig ist: Wer hat die Fähigkeit, das Land zu nutzen?

Viele Bauern beklagen sich, dass die Käufer die Länder nicht bebauen und gegebene Versprechen nicht einlösen.

Am besten wären diese Deals als Joint Venture mit afrikanischen Firmen strukturiert. So könnte der Know-how-Transfer zu den lokalen Bauern gesichert werden.

Auf vielen dieser Flächen wollen asiatische Länder Pflanzen für Biotreibstoffe anbauen. Was halten Sie davon?

Da bin ich sehr skeptisch. Ich sehe keinen Ort, wo Biotreibstoffe ohne große Subventionen der Regierungen funktionieren können. Da werden viele Projekte scheitern.

Auf einen Blick

Calestous Juma ist Professor an der Harvard-Universität. Als Ökonom hat sich der gebürtige Kenianer ganz den Lehren von Joseph Schumpeter verschrieben. Anfang 2011 wird sein Buch „The New Harvest, Agricultural Innovation in Africa“ veröffentlicht, das international bereits heiß diskutiert wird. Juma zeichnet darin den Wandel Afrikas vom hungernden Kontinent zu einem großen Agrarexporteur. [Archiv]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2010)

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