Wirtschaftsprüfer geraten ins Visier der US-Justiz

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In den USA verdichten sich die Hinweise, dass hinter dem Persilschein der Prüfer mehr stand als die bedenkliche Loyalität von Ernst & Young gegenüber einem ihrer größten Kunden, Lehman Brothers.

Wien/Gau. Im Frühling 2008 packte Matthew Lee das schlechte Gewissen. Der Lehman-Manager aus der zweiten Riege schrieb einen Brief an seine Kollegen. Darin prangerte er den „Repo 105“-Trick an, mit dem die US-Investmentbank zu jedem Quartalsende ihre Bilanz schönfärbte: Wer die Risken aus den Büchern verbanne, führe Investoren, Kunden und Regulatoren in die Irre und verletze so den Ethikkodex des Unternehmens.

Wenige Tage später wurde Mister Lee gefeuert. Die Buchprüfer von Ernst & Young kannten den Brief, sprachen mit dem Rebellen – und übernahmen die Sprachregelung des Lehman-Vorstands: Die Anschuldigungen seien haltlos.

All das steht im Untersuchungsbericht zu jener Bankpleite, die zum Auslöser der großen Finanzkrise wurde. Jetzt verdichten sich die Hinweise, dass hinter dem Persilschein der Prüfer mehr stand als die bedenkliche Loyalität einer der „Big Four“-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gegenüber einem ihrer größten Kunden.

Illegale Tricks gebilligt

Der New Yorker Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo bereitet ein zivilrechtliches Verfahren gegen Ernst & Young vor, berichtet das „Wall Street Journal“. Die Prüfer hätten den illegalen Trick jahrelang ausdrücklich gebilligt und damit Mitschuld an den Bilanzfälschungen. Die Ermittlungen sollen weit fortgeschritten sein, noch diese Woche dürfte Anklage erhoben werden. Es wäre ein letzter Paukenschlag des Staatsanwalts, der ab Jahreswechsel sein Amt als Gouverneur des Staates New York antreten wird (siehe nebenstehendes Porträt).

Doch die Ermittlungen reichen weiter. Auch andere Banken sollen ihre Kunden über ihren Schuldenstand getäuscht haben. Damit dürften noch weitere Wirtschaftsprüfungsfirmen betroffen sein.

Erster Vorwurf gegen Prüfer

Es ist das erste Mal, dass dieser Branche eine Mitschuld an der Finanzkrise vorgeworfen wird. Seit dem spektakulären Ende von Arthur Andersen infolge des Enron-Skandals vor acht Jahren hat sich der Berufsstand eine ziemlich weiße Weste bewahrt – abgesehen von der leise köchelnden Diskussion über Sinn und Unsinn einer Kontrolle, für die der Kontrolleur vom Kontrollierten Geld bekommt.

Wie aber funktioniert „Repo 105“? Die Basis dafür ist eine zwar fragwürdige, aber legale Praxis vieler US-Großbanken. Sie kaschieren kurz vor dem Stichtag für ihre Quartalsbilanzen das Risiko, das sie die meiste Zeit über eingehen. Sie weisen nämlich weniger durch Schulden finanziertes Vermögen aus, verkürzen also ihre Bilanzsumme. Am leichtesten geht das, indem man die Repo-Geschäfte zurückschraubt.

Bei „Repos“ überlässt eine Bank Wertpapiere, mit der fixen Zusage, sie in Kürze zurückzunehmen – und erhält dafür Cash. Damit finanziert das Institut andere, oft riskante Deals. Solange sie erfolgreich sind, versprechen sie eine hohe Rendite, weil für sie kein zusätzliches Eigenkapital eingesetzt werden musste. Umso höher ist das Risiko, wenn sie scheitern.

De facto sind Repos besicherte Kredite, und als solche weisen sie die Banken auch meist aus. Deshalb auch der Drang der Institute, sie zum Bilanzstichtag kräftig zu reduzieren – um 42 Prozent, wie eine Analyse von 18 US-Großbanken heuer ergab. Zur Beruhigung von Kunden, die diesen Trick kennen, versichert etwa Goldman Sachs, das Schuldenniveau weiche im Schnitt „nicht wesentlich“ von jenem am Stichtag ab. Nachprüfen kann der Investor das nicht.

Andere Banken streiten ab

Lehman aber trieb es bei „Repo 105“ weiter. Man wies die Repos als das aus, was sie nur formal und vordergründig sind – nämlich Wertpapierverkäufe, denen Erlöse gegenüberstehen. Damit verschwanden 50 Milliarden Dollar an Schulden aus den Büchern.

Andere Institute haben eine solche Praxis stets bestritten. Nur die Bank of America musste im Juli sechs „unbedeutende Fehlbuchungen“ zugeben. Mit umso größerer Spannung wird nun erwartet, welche Pfeile Staatsanwalt Cuomo gegen Banken und Wirtschaftsprüfer in seinem Köcher hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2010)

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