2011 als Schicksalsjahr für den Euro

(c) AP (MICHAEL PROBST)
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Die Euroländer müssen im neuen Jahr so viele frische Kredite aufnehmen wie nie zuvor - und zwar 560 Milliarden Euro. Großteils bei jenen Banken, die die Länder künftig stärker zur Verantwortung ziehen wollen.

Brüssel. Sollten sich Europas Staatenlenker nach dem turbulenten Krisenjahr der Hoffnung hingeben, dass der Euro dank mehrerer hektischer Rettungsaktionen dauerhaft stabilisiert ist, droht ihnen eine Ernüchterung: 2011 wird ein Schicksalsjahr für die Gemeinschaftswährung.

Das liegt erstens an dem Umstand, dass die Länder der Eurozone in den kommenden zwölf Monaten eine Rekordsumme an Schulden zurückzahlen oder refinanzieren müssen. Laut einer Studie der italienischen UniCredit, der Konzernmutter der Bank Austria, brauchen die Euroländer 560 Milliarden Euro an frischem Geld vom Finanzmarkt. Das sind um 45Milliarden Euro mehr als im Jahr 2010 und ist der höchste Betrag seit der Schaffung der Gemeinschaftswährung im Jänner 1999.

Politische Unsicherheit

Dieser hohe Refinanzierungsbedarf fällt zweitens in eine Zeit hoher politischer Unsicherheit. Zwar haben sich die Euroländer nach der eher hektisch organisierten Rettung Griechenlands und Irlands auf die Grundzüge eines dauerhaften sogenannten „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ geeinigt. Dieser Europäische Währungsfonds soll ab dem Sommer 2013 den eilig und befristet zusammengebastelten Euro-Rettungsschirm ablösen, aus dem die Irland-Hilfe kommt.

Besorgte Märkte

Doch mit einer politisch gebotenen, finanzwirtschaftlich aber heiklen Entscheidung haben die EU-Staatsführer für tiefe Unsicherheit auf den Märkten gesorgt. Künftig sollen die privaten Gläubiger der Euroländer nämlich erstmals zur Sanierung derselben beitragen müssen – und zwar als Erste, noch bevor der Euro-Rettungsfonds mit dem Geld der Steuerzahler einspringt. Die staatlichen Forderungen sollen also Seniorität bekommen, sprich: vor den Forderungen der privaten Gläubiger befriedigt werden.

Verärgerte Gläubiger

Klingt gut, ist aber problematisch. Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies, einem Brüsseler Thinktank, veranschaulicht das Dilemma mit der Beteiligung der Privatgläubiger so: „Stellen Sie sich die Gläubiger eines Landes als Menschen vor, die sich um Brot anstellen, für das sie bereits bezahlt haben“, schrieb Gros am 6.Dezember in einem Analysepapier. Der aktuelle staatliche Euro-Rettungsschirm und der künftige Euro-Währungsfonds sind in dieser Metaphorik Lkw voller Brot, die einen kurzfristigen Versorgungsengpass ausräumen sollen. „Wenn der Bäcker wirklich genug Brot hat– das Land also seine gesamte Schuld begleichen kann –, kann so ein Rettungspaket brillant funktionieren“, schreibt Gros.

Wenn das Land aber nicht bloß kurzfristig nicht flüssig ist, sondern tatsächlich bankrott, wird die Seniorität der Forderungen der diversen EU-Rettungsmechanismen zum schweren Problem.

Wirkungslose Beruhigungspillen

Denn dann müssen die Banken und Fonds damit rechnen, auch schon vor 2013 zum Handkuss zu kommen. Und darum spucken sie die Beruhigungspillen der Politiker aus und fordern von den Euroländern weiterhin hohe Risikoprämien.

Was also tun? Ein Aufbrechen der Eurozone wäre keine Lösung im Interesse der Nettozahlerstaaten wie Deutschland und Österreich. Denn die Überschuss- und Defizitländer der Währungsunion sind heute so eng verflochten wie noch nie, wie ein neues Papier dreier Ökonomen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigt. „Andere Euroländer stehen für etwas mehr als die Hälfte aller erfassten Anlagen und Verbindlichkeiten der Euroländer“, schreiben Claire Waysand, Kevin Ross und John de Guzman in ihrem Papier „European Financial Linkages: A New Look at Imbalances“.

Gegenseitige Abhängigkeit

Ihre Datenbank aller grenzüberschreitenden Finanzflüsse „legt den Schluss nahe, dass die gegenseitige Abhängigkeit in der Eurozone mit der Zeit zugenommen hat“. Und zwar deshalb, weil immer mehr Kredite aus Ländern wie Deutschland in Länder wie Griechenland geflossen sind – und nun in den Büchern der deutschen Banken brennen.

Die Schlussfolgerung der drei IWF-Wirtschaftsforscher ist ein fiskalpolitischer Auftrag an die Euroregierungen: „Exzessiv große Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen sollten eine Angelegenheit des gemeinsamen Interesses für die Euroländer sein. Sie zu korrigieren wird nicht nur für die Defizitländer schmerzhaft, sondern auch für ihre Partner in der Eurozone, weil sie eine negative Korrektur des Wertes ihrer gesammelten Anlagen impliziert.“

Faule Bankkredite

Auf Deutsch: Den deutschen, britischen, französischen und den österreichischen Banken sowie den Fonds steht noch ein ordentlicher Abschreibungsbedarf „fauler“ Kredite an Griechenland, Portugal, Spanien und Irland bevor. Das sind genau jene Finanzinvestoren, die 2011 den Rekordfinanzierungsbedarf der Euroländer decken sollen.

Auf einen Blick

Die Länder der Eurozone müssen in den kommenden zwölf Monaten eine Rekordsumme an Schulden zurückzahlen oder refinanzieren. Sie brauchen dafür 560 Milliarden Euro an frischem Geld von den Finanzmärkten. Hinzu kommen eine hohe politische Unsicherheit dank wirkungsloser Beruhigungspillen und die nicht enden wollenden Turbulenzen auf den Märkten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2010)

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