Estland feiert den Euro in der Krise

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Die Eurozone hat ihr 17. Mitglied. Während Sarkozy und Merkel den Euro starkreden, gibt ihm ein Institut nur noch eine Chance von 20 Prozent: Schon im Frühjahr könnte die Währungsunion auseinanderbrechen.

Wien/Gau. Für einen Abend fand das große Theater nicht auf der Bühne statt, sondern vor dem Opernhaus in Tallinn. Das Bühnenbild: ein eigens aufgestellter Bankomat. Die Besetzung: der estnische Premier Andrus Asip, seine Kollegen aus den baltischen Nachbarländern Lettland und Litauen und ein EU-Kommissar.

Der wahre Protagonist der Silvestervorstellung in Estlands Hauptstadt aber war der Euro, den alle vier Herren in Form frischer Banknoten dem Apparat entnahmen und vor 5000 jubelnden Esten in die Höhe hielten. „Wir sind stolz, ein Mitgliedstaat zu sein“, rief Asip der Menge zu. „Das ist ein kleiner Schritt für die Eurozone, aber ein großer Schritt für Estland.“ Fürwahr: Die kleine Baltenrepublik mit ihren 1,3 Mio. Einwohnern wird als 17. Mitglied nur 0,2 Prozent zur Wirtschaftsleistung der Eurozone beitragen. Aber der Beitritt hat Symbolkraft, nicht nur, weil mit Estland die erste Ex-Sowjetrepublik die europäische Einheitswährung übernimmt.

Krugman kondoliert

Dass sich mitten in der schwersten Krise des Euro seit seiner Einführung Hunderttausende darüber freuen, dass sie fortan mit seinen Scheinen zahlen dürfen, ist nicht nur für EU-Kommissionspräsident Barroso ein „starkes Signal“. Aber auch Gegenstimmen fehlten nicht. Für die Protagonisten der estnischen Anti-Euro-Kampagne hat ihr Land nun das „letzte Ticket für die Titanic“ gezogen. Und US-Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman bloggte gewohnt pointiert: „Glückwünsche für Estland – aber auch mein Beileid. Das ist nicht der glänzende Beitritt, den man euch versprochen hat.“

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel nutzen ihre Neujahrsansprachen, um den Bürgern ins Gewissen und die gemeinsame Währung starkzureden. Sarkozy adoptierte die schon bewährte Formel „Der Untergang des Euro wäre das Ende Europas“ und stellte den Schuldenabbau an die Spitze seiner Agenda: „Die Länder, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, haben einen hohen Preis bezahlt. Meine Hauptaufgabe ist es, Frankreich vor einem solchen Szenario zu schützen.“ Merkel hingegen schärfte den Deutschen ein, wie gut sie es mit dem Nachfolger der D-Mark hätten: „Der Euro ist weit mehr als eine Währung, er ist die Grundlage unseres Wohlstandes.“

Ein besonders misstönender Kontrapunkt zu den Feiertagsreden kam aus Großbritannien. Dort schätzt das Centre of Economic and Business Research (CEBR) die Chancen, dass der Euro in seiner derzeitigen Form die nächsten zehn Jahre überleben wird, nur mit 20 Prozent ein. Schon im Frühjahr könnte die Währungsunion auseinanderbrechen, wenn Spanien und Italien Anleihen über 400 Mrd. Euro refinanzieren müssen.

Fällt der Euro auf Dollar-Parität?

Die meisten Krisenländer werden es nicht schaffen, „die harte Medizin zu schlucken, die ihre Volkswirtschaften wettbewerbsfähig machen könnte“, fürchtet CEBS-Chef Douglas McWilliams. Jedenfalls schaden die sich vertiefenden Ungleichgewichte innerhalb der Zone der Währung. Im besten Fall werde sie deutlich an Wert verlieren – also auf eine Dollar-Parität hinabmarschieren.

Für die moralische Ehrenrettung der Einheitswährung setzte sich der oberste deutsche Wirtschaftsweise Wolfgang Franz in der „Welt am Sonntag“ ein: „Wir erleben keine Krise des Euro, sondern Krisen in einzelnen Staaten“, die finanzpolitische Fehler begangen haben. Auch der Rettungsschirm habe wenig mit der Währung selbst zu tun, sondern sei ein „Rettungsprogramm für Banken“, die sich zu riskant verhalten haben: „Also Vorsicht mit Schuldzuweisungen an den Euro.“

Auf einen Blick

Der Eurobeitritt Estlands hat die Krise der Einheitswährung auch über Silvester nicht vergessen lassen. Nobelpreisträger Paul Krugman sprach den Esten sein „Beileid“ aus. Frankreichs Präsident Sarkozy erklärte den Schuldenabbau zu seiner Hauptaufgabe. Ein britisches Wirtschaftsinstitut geht von einem baldigen Scheitern der Währungsunion oder einem starken Wertverfall des Euro aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2011)

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