Tödliche Mode: Lungen tausender junger Türken ruiniert

Toedliche Mode Lungen tausender
Toedliche Mode Lungen tausender(c) Www.BilderBox.com
  • Drucken

Tausende Arbeiter haben ihre Lungen in Jeans-Fabriken ruiniert. In der Türkei ist die Sandstrahltechnik, mit deren Hilfe Jeans eine abgewetzte Optik erhalten, nun zwar verboten. Dennoch bleibt oft nur das Warten auf den Tod.

Gebraucht aussehende Jeans sind „in“, sie wirken cool und tragen ebensolche Bezeichnungen: „Vintage“, „antique“, „stonewashed“ oder einfach „used“. Doch sie haben weder etwas mit Weinernte noch mit antiker Patina zu tun, der treffendste Name wäre „Mord“. Beim Bleichen der Jeans mit Sandstrahlern wurden in der Türkei tausende Arbeiter schwer geschädigt. Zwar hat die Regierung auf öffentlichen Druck das Verfahren vor gut einem Jahr verboten, doch die erkrankten Arbeiter sterben weiter, und die Firmen lassen nun in Ägypten, Pakistan oder Bangladesch ihre Jeans bleichen.

Die Jeansbehandlung begann Ende der Neunzigerjahre in kleinen Klitschen in den Vororten Istanbuls. Die Arbeiter waren häufig blutjunge Kurden aus dem Osten oder kamen aus Ländern wie Rumänien, Aserbaidschan und selbst aus Afghanistan. Weil es eine dreckige Arbeit sei, gebe es ein wenig mehr als den Mindestlohn, sagte man ihnen. Dass unter Umständen schon nach einem Monat eine potenziell tödliche Krankheit drohen würde, konnten die Arbeiter nicht ahnen.

Joghurt gegen den Beton in der Lunge. „Uns haben sie Joghurt gegeben und gesagt: ,Das tötet den Staub‘“, erzählt Mehmet Bekir Basak. Von der Krankheit gezeichnet fügt er bitter hinzu: „Der Sand ist in uns wie Beton geworden, wie soll Joghurt das herausschaffen?“ Joghurt mag bei Magenbeschwerden helfen, aber die Silikose oder „Staublunge“ der Arbeiter ist ganz anderer Natur: Durch das Sandstrahlgebläse werden feine Siliziumsplitter von dem benutzten Meeressand getrennt, die mit Sauerstoff reagieren und Siliziumdioxid bilden. Diese werden in der Lunge zu Quarzkristallen.

Als Abwehrreaktion vernarbt die Lunge. Ein Teil der Lunge fällt für immer aus. Ständiges Husten, Atemnot bei leichter Anstrengung, Anfälligkeit für Krankheiten sind die Folgen. Schließlich können die Betroffenen keine zehn Schritte mehr gehen, ohne eine Pause zu machen, sie schwitzen, spucken Blut, müssen an Sauerstoffflaschen angeschlossen werden und ersticken am Ende. Dabei fallen die Kranken ihren durchwegs mittellosen Angehörigen auch noch zur Last. „Haben Sie schon einmal daran gedacht, rasch zu sterben, nur um niemandem zur Last zu fallen?“, schrieb der Arbeiter Abdülhalim Demir an eine Zeitung.


In Europa verboten. Engin Bodur vom Komitee zur Unterstützung der Sandstrahlarbeiter kennt 46 Fälle von Arbeitern, die an Silikose gestorben sind; die wirkliche Zahl sei aber viel höher. Die Toten seien alle zwischen 20 und 25 Jahre alt gewesen. Im Osten der Türkei ist mitunter die Jugend eines ganzen Dorfes betroffen, denn wer eine etwas besser bezahlte Arbeit findet, erzählt es den Nachbarn, die dann nachkommen.

„Dass 20-Jährige an einer Berufskrankheit sterben, ist eine Katastrophe und eine Schande für die Türkei“, sagt Professor Zeki Kilicaslan von der Abteilung für Brustkrankheiten der Istanbuler Universitätsklinik. Vor sechs Jahren hat Kilicaslan die Silikose bei den jungen Arbeitern erstmals diagnostiziert. Bisher war Silikose nur als relativ seltene Krankheit bei älteren Bergleuten in der Türkei bekannt. Die Jungen wurden von unwissenden Ärzten einfach auf Tuberkulose behandelt.

Das Sandstrahlverfahren ist in Europa ohne speziellen Schutz seit rund einem halben Jahrhundert verboten. Doch die türkische Regierung hat gezögert. Die Textilindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftszweig, man wollte dem Boom nicht schaden. Auch die großen Oppositionsparteien schwiegen. Lieber stritt man über das Kopftuch.

Schließlich gründete Kilicaslan zusammen mit Ärzten, Anwälten und einigen kleinen linken Parteien das Komitee, dem auch Engin Bodur angehört. Das Komitee überschüttete das Gesundheitsministerium, das Arbeitsministerium und die Bürgermeister mit Anzeigen. Gemeinsam erreichten sie letztlich das Verbot.


Heilung gibt es nicht. Doch für die Kranken gibt es keine Behandlungsmethode. Das Einzige, meint Kilicaslan, wäre eine Transplantation, doch diese sei in der Türkei nicht möglich, und wie sollte er mittellose Patienten ohne Versicherung ins Ausland schicken? Viele habe er nur in ihre Dörfer zum Sterben zurückschicken können. Aber auch, wenn eine Behandlung nicht möglich sei, meint Kilicaslan, gebe es doch die Möglichkeit, die Silikose zu überleben. Der Patient muss sich schonen, richtig ernähren und in einer staubarmen Umgebung leben.

Die Voraussetzung dafür aber wäre ein Mindesteinkommen. Nach Bodur hätten die schätzungsweise 5000 Silikose-Kranken in der Türkei darauf aufgrund eines internationalen Vertrags, den die Türkei unterschrieben hat, einen Anspruch. Obwohl Silikose eine reine Berufskrankheit ist, wird verlangt, dass der Arbeiter erst einmal nachweist, von wann bis wann er wo gearbeitet hat.

„Die Arbeiter wissen oft nur, wo sie aus dem Bus gestiegen sind, und dass der Chef Ahmet hieß. Wenn sie den Namen der Firma kennen, hat sich dieser mittlerweile geändert, oder es gibt sie nicht mehr“, erklärt Bodur. Er meint, dass dahinter ein System stecke. „Wenn Sie den Chef finden, dann ist das kein Unternehmer, sondern jemand, der einen Kompressor und ein paar Arbeiter hat und sonst nichts weiß. Der Mann treibt Handel nur mit einem zweiten, dessen einzige Funktion es ist, Nachforschungen zu erschweren, und so sind bis zu vier Leute hintereinandergeschaltet, ehe man an die richtige Firma kommt.“


Der Staat blockiert. Die Regierung will ein Gesetz beschließen, das den Silikose-Patienten ab 40 Prozent Arbeitsunfähigkeit eine Rente für Behinderte zwischen 50 und 150 Euro im Monat sichern würde. Doch Bodur sieht darin nur ein Ablenkungsmanöver. „Dass diese Leute behindert sind, ist doch offensichtlich.“ Für ein ausreichendes Einkommen brauchten sie die Rente für Berufskranke. Doch der Staat tue alles, was er könne, um ihre Anerkennung zu verhindern oder endlos zu verzögern. Wenn er wollte, könnte der Staat nach Bodur die nötigen Nachforschungen selbst viel leichter anstellen und außerdem die Gerichtskosten stunden.

Stattdessen ginge der Staat regelmäßig gegen die Patienten in Berufung. „Am Ende gewinnen wir vielleicht alle Prozesse, aber die Patienten sind tot.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.