Russlands Korruptionsjäger im Netz

Russlands Korruptionsjaeger Netz
Russlands Korruptionsjaeger Netz(c) EPA (ALEXEY DRUZHINYN)
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Die Korruption bleibt das Krebsübel in Russland. Das Volk ist zum Umdenken bereit. Die Galionsfiguren des möglichen Umschwungs kommen aus der Bloggerszene. Jährlich landen 300 Mrd Dollar in den Taschen russischer Beamter.

Moskau. Es hat so gar nicht zur Weihnachtszeit gepasst. Und vielleicht ist es auch nur eine Schmutzkübelkampagne vor den Wahlen. Es drehe sich um das „Projekt Süd“, hat der russische Geschäftsmann Sergej Kolesnikov Ende Dezember in einem offenen Brief an Präsident Dmitri Medwedjew erklärt. Nahe der Stadt Sotschi würde eine riesige Palastanlage mit Gärten für Eliteweine im Wert von einer Mrd.Dollar errichtet. Und zwar für Premier Wladimir Putin. Die Finanzierung durch Spenden russischer Unternehmer laufe über Putins Bekannten und Kolesnikovs langjährigen Geschäftspartner Nikolaj Schamalov. Der Präsident möge der Sache auf den Grund gehen.

Bau: 70Prozent Schwarzgeld

Auch wenn Putins Sprecher eine Verwicklung seines Chefs entschieden dementiert hat: Die Causa wirft ein Schlaglicht auf Russlands Krebsübel Nummer eins – die Korruption. „Als Erscheinung bleibt sie unverändert, und in ihrem Ausmaß wächst sie unaufhörlich an“, schrieb die Zeitung „Wedomosti“ quasi als Resümee über 2010.

Zur besseren Anschaulichkeit: Vor zehn Jahren waren etwa im Bausektor 15 bis 20Prozent der Auftragssumme im schwarzen Koffer zu übergeben. Vor fünf Jahren laut russischer „Baumeistervereinigung“ das Doppelte, mittlerweile 50 bis 70Prozent. Laut Transparency International (TI) landen jährlich 300Mrd.Dollar an Kickback-Zahlungen in den Taschen russischer Beamter, was einem Viertel des BIPs entspricht. Selbst bei Einkäufen im staatlichen Verwaltungsapparat werden jährlich 20Prozent – und damit rund eine Billion Rubel (24Mrd.Euro) – gestohlen, erklärte Medwedjew.

Der Präsident hat eben neue Gesetze dagegen ausgearbeitet. Echte Erfolge freilich lassen auf sich warten. Überhaupt werden sie sich erst einstellen, wenn eine kritische Masse an Privatunternehmern entstanden sein werde, die das Funktionieren staatlicher Institutionen fordere, meint der Ökonom Oleg Zywinski. Im Volk selbst wird die Überwindung der Korruption offenbar immer stärker nachgefragt: Waren 2009 laut TI nur sieben Prozent der Bürger bereit, Beschwerde gegen korrupte Beamte einzulegen, so 2010 bereits 52Prozent. Der Grund: „Je schlechter die Zeiten, umso mehr Leute verstehen, dass die Korruption nicht nur das Wirtschaftswachstum bremst, sondern jedem Einzelnen teuer zu stehen kommt“, meint Sergej Gurijev, der Rektor der Moskauer New Economic School.

Blogger und Shareholder-Aktivist

Nicht zufällig ist daher jüngst der 34-jährige Shareholder-Aktivist Alexej Navalny zu einem der populärsten Blogger mit etwa 30.000Usern aufgestiegen. Navalny kauft sich mit Anteilen in börsennotierte russische Konzerne ein und macht Korruptionsfälle publik. Zuletzt hat er aufgezeigt, dass beim Bau der Ölpipeline zum Pazifischen Ozean vier Mrd. Dollar an Staatsgeldern im Umfeld des staatlichen Pipelinemonopolisten Transneft gestohlen worden seien, was 36Dollar pro Einwohner des Landes ergebe. Die Behörden haben frühere Ermittlungen wieder aufgenommen.

Korruption kostet Wachstum

Blogger und ihre Anhänger würden in Russland klar erkennen, „dass sie dort eine Lücke füllen, wo es an einem Staat mit Schieds- und Straffunktion sowie unabhängigen Medien mangelt“, erklärt die Internetexpertin Natalja Konradova.

Ökonom Gurijev spricht bereits vom „Navalny-Effekt“. Ausgehend von internationalen Studien zur Wechselwirkung zwischen Korruption und BIP-Wachstum legt Gurijev dar, dass vier Mrd. Dollar an Bestechung dem Staat 0,7Prozentpunkte an möglichem Wachstum kosten. Der Schluss: Schon 20Mrd. Dollar weniger Korruption würden das jetzige Wachstum (2010 waren es 3,8Prozent) auf über sieben Prozent verdoppeln. Soll heißen: Einige Blogger à la Navalny könnten mit ihrer Überzeugungsarbeit bewirken, dass ein Durchschnittsrusse 2020 nicht den Lebensstandard eines Slowaken, sondern den eines Italieners erreicht hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2011)

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