„Die Eurozone ist keine Bananenrepublik“

Eurozone keine Bananenrepublik
Eurozone keine Bananenrepublik
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Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht Deutschland im "Presse"-Interview wirtschaftlich auf dem richtigen Weg – aber die EZB und Brüssel auf dem falschen Dampfer.

Die Presse: Wie werden sich die Revolutionen in Nordafrika auf den Ölpreis auswirken?

Jörg Krämer: In unserem Hauptszenario gehen wir nicht davon aus, dass die arabische Revolution in zwei Wochen vorbei sein wird. Vielmehr dürfte sie sich einige Monate hinziehen, aber den wichtigen Ölproduzenten Saudi-Arabien nicht erfassen. Die saudische Gesellschaft ist recht homogen und konservativ, die Menschen sind sehr wohlhabend. Zu einer Ölkrise dürfte es nicht kommen. Den Ölpreis sehen wir in den kommenden Monaten bei rund 120 Dollar, im zweiten Halbjahr dürfte er auf knapp 100 Dollar fallen.

Was bedeuten die gestiegenen Öl- und Nahrungsmittelpreise für die mittelfristigen Inflationserwartungen?

Die hohen Energiepreise sind ein Warnsignal für die Zentralbanken. Sie steigen ja schon seit vielen Quartalen, und das nicht nur wegen der starken Nachfrage aus Asien - schließlich sind die Öllager außergewöhnlich gut gefüllt. Die lockere Geldpolitik der Zentralbanken ist mitverantwortlich für den Anstieg der Energiepreise. Denn wegen der niedrigen Leitzinsen können Anleger mit qualitativ hochwertigen Staatsanleihen nicht mehr genug verdienen. Sie werden dazu verleitet, mehr in risikoreichere Anlagen zu investieren: in Aktien, aber eben auch in Rohstoffe. Das lässt die Rohstoffpreise steigen. Noch gibt es, abgesehen von Energie und Rohstoffen, kaum Inflation. Aber in vielleicht zwei Jahren haben die westlichen Volkswirtschaften die Krise endgültig ausgeschwitzt. Dann werden die Löhne stärker steigen, und dann ziehen die Preise auf breiter Front an. Zwar hat die EZB jetzt de facto angekündigt, die Leitzinsen im April anzuheben. Aber es ist fraglich, ob sie danach ausreichend gegensteuert.

Die EZB steckt jetzt schon in einem Dilemma: Für das boomende Deutschland müsste sie die Zinsen deutlich anheben. Das würde in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien die ohnehin schwache Konjunktur abwürgen...

Dieses Dilemma kann sie nicht lösen. Der Euroraum driftet wirtschaftlich auseinander. Aber die EZB hat nur einen Leitzins. Sie kann konstruktionsbedingt nicht auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Länder eingehen. Früher hat sich die EZB am Durchschnitt aller Länder orientiert. Heute misst sie den krisengeschüttelten Peripherieländern bei ihrer Zinspolitik ein höheres Gewicht bei - auch wenn Herr Trichet das von sich weisen würde.

Macht sich die EZB von der Politik abhängig? Welche Rolle spielt dabei, dass sich der deutsche Bundesbankpräsident Weber aus dem Rennen um die Trichet-Nachfolge verabschiedet hat?

Die Lehre aus dem Weber-Abgang ist klar: Man wird nur schwer EZB-Präsident, wenn man die Unabhängigkeit der Zentralbank gegenüber der Politik auch in Krisenzeiten kompromisslos einfordert. Die EZB kauft seit Mai vergangenen Jahres Staatsanleihen, dadurch ist sie näher an die Politik gerückt. In der Zukunft werden die Zentralbanker die Begehrlichkeiten der europäischen Politiker schwerer in die Schranken weisen können. Das bedeutet nicht, wie viele befürchten, eine Inflationsrate von zehn Prozent. Aber im Schnitt der nächsten zehn Jahre werden es auch nicht die versprochenen knapp zwei Prozent sein. Drei bis vier Prozent sind realistischer.

Wo stehen wir in der Eurokrise?

Die Politik kittet die Spannungen primär durch Transfers, also durch zinssubventionierte Kredite. Das stabilisiert die Währungsunion, aber zu einem hohen Preis: Der Euroraum wandelt sich zu einer Transferunion, mehr noch: zu einer Haftungsunion. Die Mehrheit der Wähler will das aber nicht. Das ist ein Damoklesschwert für die Transferunion: Sie trägt den Keim des Scheiterns in sich.

Man könnte die Problemstaaten aus der gemeinsamen Währung drängen.

Das wäre sehr risikoreich. Wenn die Griechen in der Zeitung lesen, dass die schwache Drachme wieder eingeführt wird, dann stürmen sie die Banken und lassen sich ihre Guthaben in bar auszahlen, um der Abwertung zu entgehen. Das würde kein Bankensystem der Welt aushalten. Und ein „Bankrun" könnte auf andere Länder überspringen. Ich mag den Begriff „Schicksalsgemeinschaft" für die Eurozone nicht, aber leider ist da was dran.

Was wäre der Ausweg?

Der Königsweg wären echte Reformen in den Problemländern. Sie müssten ihren Arbeitsmarkt liberalisieren, abgeschottete Branchen dem Wettbewerb aussetzen, eine Schuldenbremse in der Verfassung einführen - wie in Deutschland. Dann würden die Volkswirtschaften in Europa einander ähnlicher werden, die Spannungen würden nachlassen. Die EU sollte parallel dazu ein echtes Hilfsverbot einführen. Nur dann würden sich die Anleger nicht mehr darauf verlassen, dass der Steuerzahler sie am Ende rausboxt.

Die Anleger, das sind bei Staatsanleihen vor allem Banken. Sind Sie da als Chefvolkswirt einer Großbank nicht befangen?

Nein, das sehen sie doch an der Antwort, die ich Ihnen gerade gegeben habe. Als Ökonom finde ich es natürlich richtig, Anleger am Risiko zu beteiligen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass nicht nur Banken Staatsanleihen der Peripherieländer halten - sondern auch Staatsfonds, Versicherungen, Pensionsfonds und Privatanleger.

Ab 2013 wird es genügen, dass ein Teil der Gläubiger der Umschuldung eines Staates zustimmt. Die Übrigen können dagegen nicht klagen. Was halten Sie davon?

Das ist sehr sinnvoll - wir brauchen eine geordnete Umschuldung, bei der die Anleger an den Risiken beteiligt werden, ohne dass es rechtlich einen Zahlungsausfall gibt. Der Euroraum ist keine Bananenrepublik, sondern eine der reichsten Regionen der Welt. Wenn da ein Staat formell pleite geht, hätten auch andere Euroländer große Probleme

Was halten Sie vom „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit", den Merkel und Sarkozy forcieren? Werden so künftig Krisen vermieden oder ist das eine Rückkehr zur Kommandowirtschaft?

Der Pakt schadet nicht, wird aber auch nicht viel bringen. Denn wie wollen Sie ihn gegenüber eigenständigen Nationalstaaten durchsetzen? Schon die Deutschen und die Franzosen haben verschiedene Vorstellungen. Man muss also Kompromisse eingehen. Der Pakt wird zahnlos sein.

Was macht die deutsche Wirtschaft aktuell so erfolgreich? Holt sie nur Versäumtes nach oder steckt da ein Geschäftsmodell dahinter, an dem sich andere orientieren können?

Erst einmal: Deutschland produziert trotz des starken Wachstums noch immer nicht so viel wie vor Ausbruch der Krise. Richtig ist aber auch, dass das Wachstum hoch bleiben dürfte. Warum? Die Wirtschaft ist sehr wettbewerbsfähig, die Lohnstückkosten sind seit 1999 - anders als in den meisten anderen Ländern - kaum gestiegen. Zudem sind die deutschen Unternehmen in den stark wachsenden Ländern Asiens sehr gut vertreten: In etwa zwei Jahren werden wir mehr nach China exportieren als in die USA. Und noch etwas: Wenn es keine EZB gäbe, hätte die Bundesbank schon längst die Zinsen angehoben. Die für Deutschland zu lockere Geldpolitik wird immer mehr zum Wachstumstreiber. Aber am Ende droht natürlich die Gefahr einer Überhitzung.

Trotz des starken Wachstums hat Deutschland 2010 die Maastricht-Defizitgrenze überschritten. Mit ein Grund sind die Konjunkturpakete, die Sie als einer von Wenigen von Anfang an kritisiert haben. Fühlen Sie sich heute widerlegt oder bestätigt?

Ich fühle mich absolut bestätigt. Schauen Sie sich doch an, wann der Tiefpunkt der Krise war: im Frühling 2009. Da haben die Konjunkturpakete noch gar nicht gewirkt. Die musste man ja erst in Gang bringen, Projekte ausschreiben und so weiter. Sie haben die Wirtschaft erst angeschoben, als die Rezession schon längst vorbei war. Fahren Sie einmal auf deutschen Autobahnen, dann sehen sie jetzt die Baustellen. Ich will die Rolle des Staates nicht klein reden: Durch die Kapitalhilfen für die Banken haben sie den Unsicherheitsschock aufgelöst, den die Lehman-Pleite ausgelöst hatte. Die Unternehmen fassten wieder Vertrauen und holten die abrupt unterlassenen Investitionen nach. Damit hat die Politik die Wende herbeigeführt - aber nicht durch Konjunkturpakete.

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