Gröhs: "Jede Finanztransaktion zu besteuern ist genial"

(c) Clemens Fabry
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Deloitte-Partner Bernhard Gröhs freut sich im Interview, dass die EU-Parlamentarier für eine Finanztransaktionssteuer gestimmt haben. Wird sie eingeführt, könnte sie das Steuersystem weltweit revolutionieren.

Die Presse: Das EU-Parlament hat am Dienstag mit sehr starker Mehrheit für die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer gestimmt. Was sagen Sie dazu?

Bernhard Gröhs: Das war ein sehr mutiger und visionärer Schritt. Es ist wichtig, dass es eine so geschlossene Willensbildung gibt. Europa ist überall dort eine Weltmacht, wo man geschlossen auftritt. So ist GSM zu einem Weltstandard im Mobilfunk geworden. Wenn eine Finanztransaktionssteuer klug gestaltet wird, könnte sie zu einer geradezu genialen supranationalen Abgabe werden, zu einem neuen Weltstandard.

Helfen Sie mir: Warum begeistert sich ein Steuerberater für eine mögliche neue Steuer?

Es geht nicht darum, dass wir noch mehr Steuern einheben, sondern dass wir die richtigen für die Zukunft finden. Unsere Steuersysteme sind veraltet. In einer Wirtschaft, wo die Firmen global agieren, kommt unsere Mikrobesteuerung an Grenzen: Sie ist für das eingehobene Volumen viel zu kompliziert und mühsam – wir Steuerberater leben gut davon. Eine Finanztransaktionssteuer aber wäre höchst effizient: Bei ihr wird nur das Volumen der Transaktionen automatisch erfasst. Das kann mir kein Mensch erzählen, dass sich das nicht sehr leicht programmieren lässt. Das Finanzamt muss nur noch prüfen, ob das EDV-Programm stimmt. Das macht's riesig einfach. Und je nach Bedarf könnte man den Steuersatz EU-weit schnell und flexibel anpassen.

Bankenvertreter warnen aber sehr wohl vor hohen Kosten für die Abwicklung.

Aufwendig wäre es nur, wenn man die Steuer auf bestimmte Transaktionen beschränkt. Also: wenn, dann gleich auf alles, bis hin zur Sparbuchüberweisung und dem Lohnzettel. So kann man den Satz sehr niedrig halten, bei 0,01 Prozent. Man braucht dann auch keine Steuerberater, die eine Umgehung empfehlen könnten – ich spreche da gegen meine Zunft, keine Frage.

Aber Umgehung ist doch das große Thema: Große Beträge kann der Fiskus bei einem so niedrigen Steuersatz nur dort lukrieren, wo es sehr viele Transaktionen gibt, im Devisenhandel oder beim Daytrading von Wertpapierhändlern. Gerade diese Geschäfte lassen sich per Knopfdruck nach Singapur, in die USA oder eine Steueroase verlegen. Dort wird man sich freuen.

Die Frage ist: Brauchen wir diese Geschäfte in dem Umfang? Ich will keine Überregulierung, Attac ist nicht meine Welt. Aber man muss kein Robin Hood und kein Kommunist sein, um das Ungleichgewicht zu sehen: Die Finanzmärkte entkoppeln sich. Sie haben schon das hundertfache Volumen der Realwirtschaft. Jedes Warengeschäft wird mit 20 Prozent Umsatzsteuer belastet, Finanztransaktionen bleiben verschont. Anders gesagt: Konsum wird besteuert, Vermögen nicht.

Diese angebliche „Entkoppelung“ gibt es nur, wenn man falsch rechnet – mit den Nominalwerten von Derivaten statt ihren Marktwerten. Und die Geschäfte, die sich oft wiederholen, haben sehr kleine Margen. Wenn man die auch nur sehr gering besteuert, würgt man sie ab.

Es wäre nicht schade um sie. Viele Derivatgeschäfte laufen intransparent außerhalb der Börsen, und so etwas sollte man regulieren, reduzieren oder verbieten. Die Finanzkrise hat gezeigt: Überall dort, wo intransparent agiert wird, entstehen Verzerrungen.

Mit Verlaub: Am Ursprung der Finanzkrise standen zu niedrige Zinsen und eine Immobilienblase. Häuser werden selten gehandelt. Mit einer Transaktionssteuer hätten sie da nichts verhindert.

Aber die Finanzierung der Immobilien lief zu 90 Prozent über Fremdkapital, das dann verbrieft und multipel abgebildet wurde.

Diesen Markt gibt es kaum noch. Das große Volumen einer EU-Transaktionssteuer käme zum einen von Übernacht-Absicherungsgeschäften der Banken bei der Zentralbank. Mehrkosten verrechnen Banken immer an ihre Kunden weiter.

Ich glaube, dass sich die Kreditzinsen deshalb nur minimal erhöhen würden.

Zum anderen geht es um Arbitragegeschäfte, mit denen viele kleine Börsenhändler geringe Kursunterschiede ausnutzen und so dafür sorgen, dass sich rasch der richtige Preis bildet. Wenn die nichts mehr verdienen, gibt es weniger Marktteilnehmer, weniger Transaktionen – und mehr statt weniger Ungleichgewichte und Schwankungen, zur Freude der großen Spekulanten.

Das ist die eine Meinung in einem ideologischen Schulenstreit von Ökonomen. Die andere Position ist, dass all diese Geschäfte Volatilität erhöhen, und nach der Erfahrung der Finanzkrise sagt mir mein Hausverstand, dass sie plausibler ist. Theoretisch wird man das nicht lösen, es ist zu wenig untersucht.

Wenn Sie eine Unsicherheit zugeben: Wieso dann das teure Wagnis einer neuen Steuer?

Darin liegt ja der Vorteil der Finanztransaktionssteuer: Man kann sie ausprobieren, weil sie so einfach umzusetzen ist. Die nächsten Schritte wären: Die Steuer näher ausgestalten, eine Machbarkeitsstudie erstellen – und dann die Steuer zwei bis drei Jahre lang testen. Dann sieht man die Reaktionen im Markt, und zwar täglich in Echtzeit. Wenn das eintreten sollte, was Sie befürchten, kann man die Steuer jederzeit abstellen – genauso schnell und fast ohne Kosten, wie man sie eingeführt hat.

Auf einen Blick

Bernhard Gröhs arbeitet seit 1985 als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater für die international tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte. Gröhs promovierte und unterrichtete an der TU Wien und absolvierte einen LLM-Studiengang in Berkeley (USA). Er verfasste zahlreiche Publikationen zum österreichischen und internationalen Steuerrecht.

Eine EU-Finanztransaktionssteuer wird von einer großen Mehrheit der EU-Parlamentarier befürwortet, und zwar auch ohne internationale Einigung. Für einen europäischen Alleingang müssten aber die EU-Kommission und die Finanzminister zustimmen. Vor allem aus Großbritannien ist wegen der Kosten für den Finanzplatz London mit Widerstand zu rechnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2011)

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