Wirtschaft: Hochkonjunktur der Angst

Wirtschaft Hochkonjunktur Angst
Wirtschaft Hochkonjunktur Angst(c) AP (MICHAEL PROBST)
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Mindestens die Hälfte der Wirtschaft ist Psychologie, sagt man. Dieser Tage treibt die Angst Menschen dazu, alte Schutzbunker wieder instand zu setzen, Geigerzähler zu kaufen und Jod zu bunkern.

Sheraton Bahrain – der Name des Hotels steht ausladend geschwungen auf dem Notizblock, daneben ein Globus aus Kunststoff, ein Orientteppich dämpft die Schritte. Auf Karl Hillingers Schreibtisch im Büro für Auslandsgeschäfte verdeckt die Kopie eines Visums den Blick auf Baupläne. Es sind Pläne für Gebäude im Untergrund – abgeschottete Domizile ohne Tageslicht, ausgestattet mit mehreren Zugängen, Schleusen und Anschlüssen für Plasmafernseher und teure Audioanlagen.

Hillingers Firma Seba liegt am Rand von Gmunden – und verkauft Schutzräume: luxuriöse für den arabischen Raum oder auch die jenes Niederösterreichers, der unter der Erde eine exakte Kopie seiner Räume darüber nachbauen ließ. Für den Großteil der Kunden geht es ums nackte Überleben, nicht um Komfort. Angst, sagt Hillinger, sei ihr Motiv: „Angst vor nuklearen Unfällen, Naturkatastrophen oder globalen Krisen.“ Das Interieur für den Ernstfall: Betonwände, Notbett, Trockenklo, Nahrungs- und Wasservorräte.

»Müssen Kunden vertrösten.« Seit Ausbruch der japanischen Krise hat sich Hillingers Arbeitszeit von unter 40auf über 60Stunden in der ersten Woche erhöht, schon jetzt gibt es erste Lieferengpässe: Strahlungsmessgeräte sind erst im April wieder lieferbar. Auf 20Jahre haltbare Trockennahrung wartet man derzeit acht Wochen: „Wir müssen die Kunden vertrösten.“
Die Angst hat Hochkonjunktur. Schon vor der Katastrophe in Japan. „Angst vor dem Euro-Crash“, „Panik an den Aktienmärkten“, „Angst vor Altersarmut“, „Angst vor Industriespionage“, „Angst vor Inflation“, „Rezessionsangst“, „Angst vor Ölkrise“, „Angst der Industrie vor Klimaschutz“ – das ist nur eine kleine Auswahl jüngster Angst-Schlagzeilen in der Welt der Wirtschaft. Irgendetwas droht immer gerade unterzugehen. Und jetzt Japan.

„Weltweit herrscht jetzt eine Alarmsituation, jeder versucht sich zu schützen“, sagt Erich Kirchler, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Uni Wien. Die rationale Furcht vor einer tatsächlichen Gefahr, das Bedürfnis nach Schutz und ein irrationales Gefühl der Angst und Panik gehen ineinander über.


Salz gegen die Strahlen.
In die Schublade „völlig irrational“ darf man wohl jene Chinesen stecken, die sich in den vergangenen Tagen kiloweise mit Salz eingedeckt und die Vorräte der Supermärkte binnen kurzer Zeit aufgekauft haben. Schließlich hofften sie, das im Salz enthaltene Jod könne sie vor einer radioaktiven Verstrahlung schützen.

Die Schreckensmeldungen aus Japan waren auch in Österreich erst wenige Stunden alt, da mussten Apotheker besorgte Menschen schon eindringlich vom Entschluss, zur Sicherheit erst mal Kaliumjodid zu schlucken, abbringen. Rund um den Globus– Jodtabletten waren vergangene Woche in zahlreichen Ländern ausverkauft. Auch Geigerzähler, mit einem Preis von mehr als 300Euro gewöhnlich nicht gerade ein Topseller, wurden in Österreich plötzlich zur Mangelware.

Pharmafirmen, Sicherheitsfirmen, Versicherungskonzerne, Banken oder Waffenhändler beherrschen das Geschäft mit der Angst – und machen es sich bewusst zunutzen. Alarmanlagen-Verkäufer werben mit Kriminalstatistiken, Versicherer oder Banken nutzen Zukunftsängste.


Affektkauf aus Angst.
Aller Ökonomie zum Trotz, die Hälfte der Wirtschaft ist schließlich Psychologie, ahnte schon Ludwig Erhardt, Ökonom und einst deutscher Kanzler. Mindestens. „Emotionen spielen eine gewichtige Rolle bei Kaufentscheidungen“, sagt Kirchler. Stolz, Ansehen, Macht, Furcht oder Angst treiben uns an. Die Angst als Motiv – wir finden sie in Apotheken, im Supermarkt, an den Börsen, in den Banken. „Angst führt zu Affekthandlungen“, sagt Kirchler. Entscheidungsrelevant sind die furchterregenden Konsequenzen eines Ereignisses. Die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich passiert, spielt keine so große Rolle. Wenn eine Versicherung in einer Werbung dramatische Gefahren vorführt, kauft manch einer vielleicht eines ihrer Angebote, ohne zu prüfen, wie wahrscheinlich die Gefahr für ihn ist.

Während die einen mit Furcht und Angst beste Geschäfte machen, droht Exporteuren aus Japan ein massives Problem. Konsumentenschützer berichten schon von Anfragen, ob man Sushi, Reis oder Misosuppe noch bedenkenlos essen könne.


Strahlende Neuwagen aus Japan? Nicht wenige heimische Autohändler erzählen von besorgten Käufern, die sich in ihrem Neuwagen schon einem Strahlungsrisiko ausgesetzt sehen. Die Vereinigung der japanischen Importeure berät bereits über eine PR-Strategie, die einem möglichen Hype frühzeitig begegnen soll. Das PR-Desaster von Toyota ist noch in frischer Erinnerung: Die wesentlichen Vorwürfe hatten sich in der abschließenden US-Untersuchung als haltlos erwiesen. Aber da war der Schaden längst angerichtet.

Fürs Erste bleibt den Importeuren nur der Hinweis auf die Lieferkette: „Was in den nächsten Monaten geliefert wird, hat Japan lange vor dem Beben verlassen“, so Josef Deimel von Mazda. Es gäbe auch keinen Grund, dem engmaschigen Kontrollnetz der EU bei Importen zu misstrauen – zusätzlich zu den Kontrollen in Japan, wie sie für die kommende Zeit zu erwarten sind. Eine Kontaminierung vor Ort sei nach jetzigem Stand zudem ausgeschlossen – Deimel: „Das Mazda-Werk in Hiroshima etwa ist mehr als 1000Kilometer von der Unglücksregion entfernt.“ Derzeit würden überhaupt keine Autos von Japan aus verschifft, erklärt Sebastian Obrecht von Toyota, „und es liegt im ureigensten Interesse der Hersteller, dass keine kleinste Schraube Japan verlassen wird, die verstrahlt ist“. Aber der Konnex Japan – nukleare Katastrophe wird sich für lange Zeit einbrennen.

Andere werden von der Angst vor den Stahlen lange profitieren. Die Zahl der Menschen, die sich eine – meist geheime – Schutzzelle bauen lassen, wird immer größer. „Ein bis zwei Prozent jener, die heute ein Haus bauen, lassen es mit einem Schutzraum ausstatten“, schätzt Hillinger. Eine Schutzzelle ist in der Grundausstattung ab 1500Euro zu haben. „Junge, Reiche, Alte, Junge – es sind alle Schichten vertreten.“ Nach Tschernobyl, 9/11 oder dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise habe sich der Absatz der Schutzraumvorrichtungen und des Zubehörs vervielfacht. Auch die Katastrophe von Japan hat das Geschäft angekurbelt. In welchem Ausmaß, will Hillinger nicht sagen. Erster Grundsatz seiner Branche: Diskretion.


Geheime Ausbauten. Daher parkt der Kleinlaster aus Gmunden immer ein paar Kilometer vor seinem Ziel am Straßenrand. Dann steigen die Arbeiter aus, rollen die Lkw-Plane mit dem Schriftzug der Firma nach oben.

Erst danach fahren sie weiter zur Baustelle, tragen den Sand für die Lüftungsfilter in den Keller, 20Zentimeter dicke Stahltüren, die Konstruktion für die Notbetten. Sie tun es möglichst diskret – neben der Angst vor Katastrophen gibt es noch andere: die Angst, für paranoid gehalten zu werden. Oder – im Ernstfall – die Angst vor den Nachbarn und einem Kampf mit ihnen um die trümmer-, strahlen- und feuersicheren Plätze im Keller.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

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