Portugal: Der Scherbenhaufen von Lissabon

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Das Sparpaket wurde abgeschmettert und die Regierung tritt zurück. Portugal verliert seinen Kampf gegen die Schuldenkrise und wird um Hilfe ansuchen müssen. Wie es zu diesen Scherbenhaufen gekommen ist.

Lissabon/Wien/Rs/Gau. „Das Land hat verloren“: Mit diesen düsteren Worten wandte sich Regierungschef José Sócrates Mittwochabend in einer „Rede an die Nation“ an die Portugiesen vor den Fernsehschirmen. Der sozialistische Premier beschrieb einen politischen Scherbenhaufen mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Konsequenzen: Sein neuestes Sparpaket, das vierte in zwölf Monaten, war vom Parlament abgeschmettert worden. Die linke wie die rechte Opposition hatte die neuen Belastungen einhellig als „unzumutbar“ abgelehnt.

Sócrates warf daraufhin wie angedroht noch am gleichen Abend das Handtuch: „Eine negative Koalition der politischen Kräfte hat den Rücktritt der Regierung erzwungen“ und „das gesamte Land blockiert“. Was nicht ganz stimmt: Zwar stellen die Sozialisten seit 2009 nur noch eine Minderheitsregierung, aber große Teile des Krisenpakets hätten auch ohne Zustimmung des Parlaments in Kraft treten können.

Wenig wettbewerbsfähig

Fest steht, dass damit ein Hilferuf des hoch verschuldeten EU-Landes an den Euro-Rettungsfonds immer näherrückt. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 50 und 100 Milliarden Euro, die es braucht, um den Staat vor der Pleite zu retten. Portugal wäre damit nach Griechenland und Irland das dritte Euro-Mitglied, das nicht mehr aus eigener Kraft seine Finanzierung sichern kann.

Wie konnte es so weit kommen? Das große Problem Portugals sind nicht geplatzte Immobilienblasen und taumelnde Banken wie in Irland und Spanien. Auch nicht in erster Linie der staatliche Sektor: Er war zwar im vergangenen Jahrzehnt kein Sparmeister, aber eine besonders exzessive Schuldenpolitik wie in Griechenland kann man den Portugiesen nicht nachsagen.

Worüber das ärmste Land Westeuropas nun stolpert, ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Bei der Produktivität ist Portugal stark ins Hintertreffen geraten, und es fehlt ein brauchbares Geschäftsmodell. Das sollen strukturelle Reformen am Arbeitsmarkt ändern; auch das Pensionseintrittsalter wurde schon vor der Krise auf 67 Jahre erhöht.

Aber diese Reformen greifen nur langsam, so wie die Früchte der Sparpakete nur langsam reifen. Bis das alles wirkt, kann sich die schwache Volkswirtschaft nicht aus der Rezession befreien. Zwar legte das BIP im Vorjahr zunächst etwas zu, rutschte aber im vierten Quartal wieder ins Minus. Für heuer erwarten Notenbank und Regierung einen weiteren Rückgang. Die Folgen sind elf Prozent Arbeitslose und immer mehr Zahlungsprobleme privater Haushalte. Damit sind die Sparpakete auch in der Bevölkerung nicht mehr mehrheitsfähig.

Sie waren durchaus ambitioniert: Alle Pensionen wurden eingefroren, die Mehrwertsteuer von 21 auf 23 Prozent erhöht, Beamtenlöhne um fünf Prozent gekürzt, Infrastrukturprojekte gestoppt. So konnte die Neuverschuldung vom Rekordstand 2009 mit 9,2 Prozent auf 7,3 Prozent im Vorjahr reduziert werden. Für heuer waren 4,6 Prozent angepeilt – bis das neue Maßnahmenpaket scheiterte.

Die Zinslast steigt weiter an

Staatspräsident Cavaco Silva wird nun in etwa zwei Monaten Neuwahlen ansetzen. Bis dahin dürfte Sócrates mit seiner Mannschaft kommissarisch im Amt bleiben.

Die Zweifel an Portugals Zahlungsfähigkeit treiben die Risikoprämien für portugiesische Schuldscheine in die Höhe. Die Zinsen für zehnjährige Anleihen sind am gestrigen Mittwoch kräftig gestiegen, sie liegen nun bei rund acht Prozent. Allein bis Mitte April muss Lissabon fünf Milliarden an Schulden zurückzahlen und neu aufnehmen. Auf dem Kapitalmarkt wird das zu vertretbaren Konditionen nicht zu schaffen sein.

Die Konservativen erfüllen nun durch die Blockade des Sparprogramms ihre eigene Prophezeiung: „Wir brauchen ausländische Hilfe“, sagt Oppositionsführer Passos Coelho und öffnet damit die Tür für den Rettungsfonds. Ebendies wollte der gescheiterte Sócrates bis zuletzt verhindern.

Noch bei seiner TV-Ansprache wetterte er gegen seine Gegner: „Wer sich vorstellt, dass ein externes Hilfspaket keine härteren und für uns schlechteren Maßnahmen mit sich bringt, lässt sich entweder zum Narren halten oder versteht einfach nicht, wovon er spricht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2011)

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