Portugal: „Wir brauchen ein Wunder“

(c) REUTERS (RAFAEL MARCHANTE)
  • Drucken

Der Ruf nach EU-Hilfe sorgt in Portugal für gemischte Gefühle, sowohl Erleichterung als auch Angst vor der Zukunft. Ausschlag hatten jene Horrorzinsen gegeben, die Portugal für seine Schulden zahlen musste.

Lissabon. Es war ein verhängnisvolles Wort, das nicht wenige Portugiesen seit Wochen mit Sorge erwartet hatten, und dieses Wort sagt eigentlich alles: „Hilfe“. In riesigen weißen Lettern vor schwarzem Hintergrund prangt es auf der Titelseite der portugiesischen Tageszeitung „Publico“. Darüber ein Foto jenes Mannes, der es nicht schaffte, das Land aus dem Schuldenstrudel zu führen, und kurz vor dem Untergang den Rettungsknopf drückte: José Socrates, sozialistischer Übergangsregierungschef, der eigentlich schon vor zwei Wochen den Hut an den Nagel gehängt hatte und zurückgetreten war.

„Da kommt ein Tsunami auf uns zu“, sagte Staatssekretär Carlos Zorrinho nach der Katastrophennachricht. Socrates' Botschaft an das Volk in der Nacht zum Donnerstag verhieß keine einfache Zukunft: Seine Regierung habe „im nationalen Interesse“ beschlossen, „die EU-Kommission um finanziellen Beistand zu bitten“. Ohne diesen Hilferuf wäre Portugal unkalkulierbaren Risken ausgesetzt. Die Situation werde sich verschlimmern, wenn nichts getan würde, sagte Socrates mit versteinerter Miene in seiner nächtlichen „Rede an die Nation“. Stunden zuvor hatte er ausländische Hilfe noch abgelehnt.

Zinsen waren nicht mehr finanzierbar

Den Ausschlag hatten jene Horrorzinsen gegeben, die Portugal in den letzten Tagen für seine Schulden zahlen musste. Vor Socrates' Hilferuf hatten sich die Zinsen für einjährige Anleihen auf fast sechs Prozent geschraubt, für drei- bis fünfjährige Schuldpapiere musste Portugal den Anlegern mehr als neun Prozent Zinsen hinblättern. Zehnjährige Anleihen lagen nur knapp darunter und damit fast auf der Höhe des Pleite-Eurolandes Irland. „Das kann kein Staat lange aushalten“, stöhnte man im Finanzministerium.

„Ich habe tagelang dafür gekämpft, dass dies nicht geschieht“, sagte ein sichtlich angeschlagener Socrates mit grauem Gesicht in seiner TV-Ansprache. Er ahnte vermutlich, dass dieser Offenbarungseid auch das Ende seiner politischen Karriere einleiten dürfte. In der vorzeitigen Neuwahl des portugiesischen Parlaments am 5. Juni räumen die Umfragen ihm und seinen Sozialisten keine Chance ein. Socrates ist vor zwei Wochen zurückgetreten, nachdem die Parlamentsmehrheit eine neue harte Sparrunde mit tiefen sozialen Einschnitten als „unzumutbar“ abgelehnt hatte.

„Volk nicht auf Brot und Wasser setzen“

Oppositionschef Pedro Passos Coelho, Vorsitzender der konservativen Sozialdemokraten, meinte dazu: „Man kann einem Volk nicht Brot und Wasser verordnen.“ Passos Coelho, der vermutlich Portugals neuer Ministerpräsident werden wird, fordert schon länger europäische Unterstützung und ging mit Socrates hart ins Gericht: Dieser habe in der Vergangenheit „ein illusorisches Bild eines Landes geschaffen, das keine Hilfe braucht und das die Sparziele erreicht, aber dies hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun“.

Lissabon trickste bei Budgetzahlen

In der Tat musste die Europäische Kommission in den letzten Monaten schon mehrfach eingreifen: Zuletzt Ende März, als die Brüsseler Buchprüfer entdeckten, dass Portugals Haushaltsdefizit höher war als von Socrates angegeben. Es lag 2010 bei 8,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und nicht, wie versprochen, bei 7,3 Prozent. Womit Portugal das angestrebte Sparziel der Haushaltssanierung klar verfehlte.

Doch auch mit der viel zu spät an die aufgeblähten Staatsausgaben gesetzten Axt konnten die Schuldenkatastrophe und der Vertrauensverlust an den Finanzmärkten nicht mehr verhindert werden: Ein Stopp für Pensionssteigerungen, empfindliche Steuererhöhungen, Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, weniger soziale Leistungen, Mautgebühren auf den Autobahnen, höhere Preise im öffentlichen Transport, Einsparungen im ohnehin lahmenden Bildungs-, Gesundheits- und Justizwesen, Baustopp öffentlicher Infrastruktur. Selbst dieser Horrorsparkatalog brachte nicht schnell genug die notwendige Etat-Entlastung.

Nun wird allgemein erwartet, dass Portugal einen Notkredit aus dem von Euroländern und Internationalem Währungsfonds (IWF) gefüllten Rettungsfonds in Höhe von bis zu 90 Milliarden Euro braucht. Allein bis zum Juni müssen mehr als neun Milliarden Euro an Krediten zurückgezahlt werden. Schon am heutigen Freitag werden die EU-Finanz- und Wirtschaftsminister in Budapest sich des neuen Pflegefalls Portugal annehmen. Sicher ist schon jetzt, dass der Rettungskredit mit harten Auflagen verbunden sein wird, sodass sich die Portugiesen auf eine noch ziemlich lange Leidenszeit gefasst machen müssen.

Portugiesen erwarten Verschlechterung

Vermutlich ist der Kater in Portugal am Tag nach dem nächtlichen Rettungsruf deshalb groß: Umfragen zufolge glaubt die Mehrheit der Portugiesen, dass es dem Land, dessen Wirtschaft jetzt schon schrumpft und das elf Prozent Arbeitslose hat, in einem Jahr noch schlechter gehen wird als heute. Die katholische Kirche befürchtet gar, dass im heute bereits ärmsten Land Westeuropas mehr Menschen „Hunger leiden“ werden.

Immer mehr Portugiesen holen sich jetzt schon in kirchlichen Suppenküchen ihre tägliche Mahlzeit. Der gesetzliche Mindestlohn liegt in Portugal bei bescheidenen 475 Euro im Monat. Der Bischof der südportugiesischen Stadt Beja, Vitalino Dantas, vertraut offenbar nicht mehr auf die Politik. Stattdessen fleht er: „Wir brauchen ein Wunder.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.