Von 83-jährigen Kühen: Wunder der EU-Agrarförderung

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Italiens Bauern verkaufen Milch von 300.000 Kühen, die seit Jahren tot sind. Die Polizei wittert Subventionsbetrug und leitete Ermittlungen ein. Dies scheint kein Einzelfall in der EU-Agrarbürokratie zu sein.

Florenz/Wien. Als Anfang März die Madonnenstatue im toskanischen San Quirico d'Orcia plötzlich Blut weinte, war es nur eines von vielen „Wundern“, die sich zurzeit in Italien ereignen. Das jüngste Beispiel dürfte allerdings weniger die Kongregation für Heiligsprechung im Vatikan interessieren als vielmehr die italienische Staatsanwaltschaft.

Denn Italiens Bauern verkaufen seit Jahren die Milch von 300.000 Kühen, die steinalt oder tot sind – und kassieren dafür EU-Förderungen. Das berichtet der „Spiegel“ unter Berufung auf die italienische Zeitung „Il Fatto Quotidiano“. Demnach haben Ermittler des „Kommandos für Agrarpolitik und Nahrungsmittel“ (NAC) in den Agrarstatistiken des Landes Kühe entdeckt, die mit 83 Jahren noch Milch geben sollen. Im Rest der Welt haben Milchkühe spätestens nach dem zehnten Geburtstag endgültig Ruhe von ihren Melkern.

Ein Wunder also. Oder doch Betrug, wie die 60 Staatsanwälte vermuten? Sie haben Ermittlungen gegen Bauern und italienische Förderagenturen aufgenommen. Denn noch ist ungeklärt, woher jene 1,2 Milliarden Liter Milch in Italiens Geschäften kommen, wenn nicht von den 300.000 Phantomkühen. Die Ermittler wollen nun klären, ob es sich dabei um Milchpulver aus China oder um Schwarzimporte aus Osteuropa handeln könnte.

Virtuelle Oliven und Orangen

Es ist nicht das erste Mal, dass der 50-Mrd.-Euro-Topf, aus dem Brüssel jährlich Geld an Europas Landwirte verteilt, auch Betrüger angelockt hat. Geschätzte ein bis zwei Prozent des Agrarbudgets fallen in die Hände von Gaunern. Tatsächlich scheint die europäische Agrarbürokratie, in der oft weniger mit Milch und vielmehr mit Milchquoten gehandelt wird, besonders betrugsanfällig zu sein. Die schiere Anzahl verschiedener Subventionen mache das System unübersichtlich, sagen Kritiker. Jede fünfte Untersuchung werde im Agrarbereich eingeleitet, schreiben die EU-Korruptionsjäger von Olaf in ihrem Bericht 2009. Mit Satellitenfotos und Vor-Ort-Kontrollen versucht die Behörde, Gaunereien in den Griff zu bekommen.

In Italien sind die Fahnder dafür besonders oft unterwegs. Etwa in Kalabrien, wo Bauern für 50 Mio. an Fördergeldern Tonnen an nicht existierenden Orangen zu Saft gepresst haben wollen. Als die Ermittler bei den angeblichen Orangenlieferanten in Frankreich und Spanien nachforschten, fanden sie dort nur ein Museum und eine Parkgarage.

Auch Griechenland ist in der der Liste der EU-Agrarbetrüger stets vorne zu finden. Seit 1996 hat Brüssel rund 955 Mio. Agrarsubventionen von Athen zurückgefordert. Vor allem mit „virtuellen“ Olivenhainen machten die Griechen jahrelang gute Geschäfte. Auch Siziliens Bauern pflanzten ihre Olivenbäume gern in Töpfen, damit sie leichter zu transportieren sind. Nachdem die Inspektoren den ersten Olivenhain gesichtet hatten, übersiedelten hunderte Bäume auf das nächste Feld. 1997 hat die EU deswegen ein „betrugssicheres“ elektronisches Kontrollsystem eingeführt. In Griechenland funktioniert es bis heute nicht.

Dafür müsste die EU mittlerweile ein Depot an Rinderohren haben, die Bauern einst als „Tötungsbeweis“ versandt haben, um eine Schlachtungsprämie zu kassieren. Nicht selten erwiesen sich die Bauern aber als Tierfreunde und ließen die Rinder mit einem Ohr weitergrasen.

EU will 1,5Mio. von Österreich

Auch Österreichs Bauern erhielten im Vorjahr rund 1,8Mrd. Euro an Förderungen von der EU. Verteilt wurden sie von der Agrarmarkt Austria (AMA). Das System gilt als relativ streng. AMA-Chef Günter Griesmayr zitiert Statistiken, wonach Brüssel je „1000 Euro Förderung, von Griechenland 50 Euro, von Italien 40 Euro und von Österreich 22 Cent“ zurückfordere. 2009 mahnte die EU die Rückzahlung von 1,51 Mio. von Österreich ein.

Allzu viel bringt das nicht, kritisierte der EU-Rechnungshof schon 2004. Von den 3,1 Mrd. Euro, die Betrüger in der ganzen EU zwischen 1971 und 2002 aus dem EU-Agrartopf gezogen hatten, wurden bis dahin nur 537 Mio. Euro zurückbezahlt.

Auf einen Blick

In Italien bahnt sich ein Skandal um EU-Agrarförderungen an. Italienische Bauern kassierten Subventionen für Kühe, die längst tot sind. Das Kuriose: Die 1,2Mrd. Liter Milch der Phantomkühe wurden tatsächlich verkauft.
Die EU-Korruptionsjäger von Olaf warnen: Jeder fünfte neue Fall stammt aus dem Agrarbereich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2011)

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Eine Kuh sollte man haben

In Teilen Italiens werden Kühe über 80 Jahre alt. Ein Wunder der Natur? In Brüssel würde man mit „Ja!“ antworten.

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