Kredite nur, wenn der Wohnort stimmt

(c) EPA (JUSTIN LANE)
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Sechs Prozent aller US-Banken wird vorgeworfen, bei der Kreditvergabe nicht die Bonität zu prüfen, sondern nach Hautfarbe oder Herkunft zu diskriminieren. Von der Kritik zeigen sich die Banken überrascht.

Bloomberg/Stef. Wer beim amerikanischen Institut Midwest Bank Centre einen Kredit aufnehmen will, muss die richtige Hautfarbe haben. Das behaupten mehrere lokale Gruppen von Aktivisten im US-Bundesstaat Missouri, wo die Bank ansässig ist. Ihnen zufolge hat die kleine Bank mit einer Bilanzsumme von 1,1 Mrd. Dollar (754 Mio. Euro) seit fünf Jahren keinen Kredit mehr an Afroamerikaner vergeben.

Es könnte nur ein Beispiel von mehreren sein: Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg haben im vergangenen Jahr sechs Prozent aller US-Banken ein Gesetz verletzt, wonach bei der Kreditvergabe weder Hautfarbe noch Wohnort des Antragstellers berücksichtigt werden dürfen. Zu Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 lag der Vergleichswert noch bei 1,45Prozent.

Die Praxis, wonach bestimmte Bevölkerungsgruppen bei der Kreditvergabe benachteiligt werden, war in den Vereinigten Staaten zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts gängige Praxis. Um das Risiko zu minimieren, drehten die Banken Bewohnern verarmter Vororte den Geldhahn zu, ohne die Kreditwürdigkeit zu prüfen. Als Folge fehlten die Investitionen – und ganze Stadtviertel, vor allem im ärmeren Süden, starben aus.

Zuerst nachlässig, nun ungerecht

1977 verabschiedete die Politik schließlich den „Community Reinvestment Act“. Kreditinstituten wurde es untersagt, beispielsweise in Ghettos keine Darlehen zu vergeben. Jeder einzelne Antragsteller muss geprüft werden, egal, wo er wohnt und egal, aus welcher Bevölkerungsschicht er kommt.

Bis vor drei Jahren gab es nicht nur als Folge dieses Gesetzes von restriktiver Kreditvergabe kaum eine Spur. Die Banken wurden nachlässig, sie überprüften die Bonitäten nicht ausreichend. Viele Darlehen stellten sich im Zuge der Krise am Häusermarkt als uneinbringlich heraus. Erst 2008 verschärften viele Institute die Richtlinien – zu spät, um die weltweite Wirtschaftskrise zu verhindern.

Von der nunmehrigen Kritik der Aktivisten zeigen sich die betroffenen Banken überrascht. Bis vor Kurzem wurde ihnen vorgeworfen, Hypotheken zu leichtfertig zu vergeben. Und nun werde die Zurückhaltung bei der Kreditvergabe als Diskriminierung missverstanden, lautet der Tenor.

Justizministerium schaltet sich ein

Die Vorwürfe beziehen sich vor allem auf kleinere Banken, die zumeist nur in einem oder wenigen Bundesstaaten tätig sind. Große Institute, wie die Bank of America oder Citibank, sind nicht betroffen. Allerdings hängt das Kreditsystem in kaum einem Land so sehr von kleinen lokalen Instituten ab wie in den USA. Von den mehr als 8000 Banken hat die Hälfte eine Bilanzsumme von weniger als 500 Mio. Dollar. Nicht zuletzt deshalb orten Experten in den Vorwürfen der Diskriminierung gegen Kleinbanken einen Grund für das generelle Stocken des Kreditmarktes.

Mittlerweile hat sich auch das Justizministerium eingeschaltet, um die Beschuldigungen unter die Lupe zu nehmen. Ein Team von 20 Leuten überprüft, ob Banken den „Community Reinvestment Act“ verletzt haben. In 60 Fällen hat Justizminister Eric Holder eine tiefer gehende Prüfung angeordnet.

Fünf Banken verhandeln bereits Ausgleichszahlungen mit den Behörden, um einem öffentlichen Gerichtsprozess zu entgehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2011)

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