EU-Wirtschaftsregierung: Seichtes Auffangbecken für die Währung

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Die geplante EU-Wirtschaftskoordinierung zur Verhinderung künftiger Krisen für den Euroraum ist rechtlich wie politisch fragwürdig. Inhaltlich stellt sich die Frage, ob diese auch überhaupt funktionieren kann.

Wien. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben spät mit einem politischen Konzept auf die Wirtschafts- und Finanzkrise reagiert. Doch nicht nur das: Die nun für Juni geplante endgültige Verankerung einer europäischen Wirtschaftsregierung als Teil eines Gesamtkonzepts zur Verhinderung künftiger Krisen bleibt halbherzig, demokratiepolitisch heikel und in ihrer rechtlichen Umsetzung mangelhaft.

Wie zahlreiche Experten bei einer Veranstaltung der Wirtschaftsuniversität Wien kritisierten, ist das auf Vorschläge aus Paris und Berlin zurückgehende Konstrukt politisch wie rechtlich allzu seicht verankert. Weil die EU-Regierungen davor zurückgeschreckt sind, eine notwendige größere Vertragsreform anzugehen, entsteht eine wirtschaftspolitische „Schattenregierung“, wie es der Wirtschaftswissenschaftler Fritz Breuss ausdrückt. Ähnlich wie bei der letztlich gescheiterten Lissabon-Strategie zur Stärkung der gemeinsamen Wettbewerbsfähigkeit wird statt klaren rechtlichen und institutionellen Strukturen eine „offene Methode der Koordinierung“ gewählt.

Das heißt, es gibt eine rein zwischenstaatliche Einflussnahme ohne wesentliche Kontrolle durch europäische Institutionen. Ob dies dazu beitragen kann, die makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone zu beseitigen, wird von Experten bezweifelt. Denn diese Konstruktion läuft Gefahr, in politische Beliebigkeit abzudriften. Was etwa, wenn sich Deutschland oder Frankreich – ähnlich wie einst beim Stabilitätspakt – kraft ihrer politischen Macht aus der Verantwortung stehlen?

Zudem ist die rechtliche Verankerung umstritten. Denn es wurde abseits des EU-Vertrags ein Pakt geschaffen, der die Mitgliedstaaten zur Umsetzung gemeinsamer Beschlüsse verpflichtet. Einen demokratischen Kontrollmechanismus mit klaren Verantwortlichkeiten, wie sie in anderen Politikbereichen im EU-Vertrag festgelegt sind, gibt es hier nicht. Das Europaparlament versucht derzeit, sich mit Nachdruck eine Mitsprache zu verschaffen. Allein dieser Streit könnte dazu führen, dass das gesamte Paket verzögert wird.

Die Sorge der Parlamentarier kommt nicht von ungefähr. Das Maßnahmenpaket der Staats- und Regierungschefs mit dem hochtrabenden Namen „Euro-Plus-Paket“ ist laut dem Rechtswissenschaftler Stefan Griller (Uni Salzburg) ein politisches Steuerinstrument mit problematischen Auswirkungen auf die Gewaltentrennung.

Zwar ist klar, dass die höchstrangigen Politiker der Euroländer künftig gemeinsam einem einzelnen Mitgliedstaat Vorgaben für seine wirtschaftspolitische Ausrichtung machen können. Es ist laut Griller aber nicht exakt festgelegt, wer letztlich die Verantwortung für die Umsetzung dieser Vorgaben trägt: der Europäische Rat (Staats- und Regierungschefs) oder der einzelne Mitgliedstaat. Der Rechtsexperte hält es für notwendig, dass die EU-Staaten ihre Wirtschaft besser koordinieren. Unzulässig sei bei der derzeitigen Vertragslage aber, dies mit der Einführung neuer Sanktionen zu verknüpfen.

Griller weist außerdem darauf hin, dass die Installierung des neuen Euro-Rettungsschirms – ebenfalls Teil des Pakets – im Widerspruch mit der vertraglich verankerten No-bail-out-Klausel stehe. „Er durchbricht sie und beinhaltet eine problematische Ausgliederung von Wirtschaftssteuermaßnahmen im Krisenfall.“ Das gesamte Maßnahmenpaket „erfordert eine Änderung des Vertrags über die Arbeitsweise der EU“, ist Griller überzeugt.

Keine klare Kompetenzübertragung

Ähnlich sieht das ein wissenschaftlicher Kollege, der Innsbrucker Rechtswissenschaftler Walter Obwexer. Er ortet zwar in der Summe der nun eingeleiteten Maßnahmen einen „ersten Schritt zu einer europäischen Wirtschaftsregierung“.

Aber auch er kritisiert eine fahrlässige rechtliche Konstruktion, in der die Wirtschaftskoordination nicht mit einer klaren Kompetenzübertragung an die Union einhergeht, sondern durch eine rein zwischenstaatliche Konstruktion erfolgt.

Inhaltlich stellt sich die Frage, ob die angepeilte Koordinierung überhaupt funktionieren kann. „Die 27 Mitgliedstaaten der Union werden es in absehbarer Zeit nicht fertigbringen, eine Wirtschaftspolitik aus einem Guss zu schaffen“, ist der Luxemburger EU-Parlamentarier und ehemalige Wirtschaftsminister Robert Goebbels überzeugt. Zu groß seien die historisch gewachsenen Unterschiede, die nationalen Staatsstrukturen und die jeweilige Einbindung der Sozialpartner.

Wirtschaftswissenschaftler Breuss fürchtet, dass die Pläne für eine strengere wirtschaftspolitische Aufsicht über die Mitgliedstaaten auf einen administrativen Gau hinauslaufen. Er sieht einen deutlichen Mehraufwand an Kontrollen und Statistiken, der zudem den Mehrwert an wirtschaftspolitischer Koordinierung „bei Weitem übersteigt“.

Auf einen Blick

Euro-Maßnahmenpaket. Im Juni wollen die Staats- und Regierungschefs der EU ein Maßnahmenpaket beschließen, um künftige Eurokrisen zu verhindern.

Es besteht aus:
einer Reform des Stabilitätspakts mit schärferen Sanktionen,
einem Euro-Plus-Pakt mit Möglichkeiten der wirtschaftspolitischen Zielsetzung und der Überwachung ihrer Umsetzung in den Mitgliedstaaten,
der Installierung eines neuen Rettungsschirms samt neuen Regeln für den Umgang mit Krisenstaaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2011)

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