Europa am Tropf des Internationalen Währungsfonds

(c) EPA (JIM LO SCALZO)
  • Drucken

Schon über 80 Prozent aller IWF-Notkredite gehen an europäische Staaten. Mit einer Strauss-Kahn-Nachfolgerin aus den eigenen Reihen will sich die Europäische Union auch die Verhandlungen erleichtern.

Wien. Mister Euro hat Zahnschmerzen. Um 40 Minuten kam Olli Rehn deshalb zu spät zu seiner Rede bei einer Wirtschaftskonferenz in Wien. Eine Notbehandlung sei nötig gewesen, „eine äußerst schmerzhafte Erfahrung“, wie der EU-Erweiterungskommissar gestand. Und er fügte vorsichtshalber hinzu: „Nicht, dass Sie jetzt Vergleiche mit Europa anstellen.“

Die drängen sich freilich auf. Die Schuldenkrise schmerzt, die Peripheriestaaten der Union wackeln bedenklich. Die reicheren und wirtschaftlich solideren Länder des Nordens zeigen immer weniger Bereitschaft, teure Finanzbrücken für die Problemländer Griechenland, Irland und Portugal zu bauen, um das große Euro-Ganze stabil zu halten.

Selbst der überzeugte Europäer Rehn ortet „eine gewisse Unterstützungsmüdigkeit“. Wer soll da noch helfen, wenn nicht der Internationale Währungsfonds (IWF)? Zu Beginn der Krise wollten ihn viele gar nicht einbeziehen. Jetzt gewinnt er immer größere Bedeutung als Kreditgeber und neutraler Kontrollor der Reformprogramme. Doch nach dem unrühmlichen Abgang von Dominique Strauss-Kahn ist die wichtigste Finanzinstitution der Welt ohne Führung – der Zahnarzt hat seine Ordination verlassen.

Die EU ist geeint wie selten

Tatsächlich ist Europa bereits zum wichtigsten Patienten des Fonds geworden: 60 Prozent aller Kreditvereinbarungen entfallen auf den alten Kontinent, 53 Prozent auf die EU-Staaten. Im Ranking der Staaten steht zwar Mexiko mit knapp 54 Milliarden Euro an Krediten an der Spitze. Doch dann folgen mit Griechenland, Portugal, Irland, Polen und der Ukraine gleich fünf europäische Länder.

Der Vergleich fällt noch deutlicher aus, wenn man die eher harmlosen „flexiblen Kreditlinien“ herausrechnet. Sie sind ein neueres Angebot des Fonds an budgetär solide Schwellenländer, um sie vor einer Ansteckung durch Finanzkrisen zu bewahren. Mexiko, Polen und Kolumbien kamen in den Genuss – und haben die hohen Beträge bislang gar nicht angerührt.

Bei den IWF-typischen Notkrediten aber, die mit strengen Sanierungsauflagen verbunden sind, beträgt der Anteil Europas bereits über 80 Prozent. Kein Wunder also, dass die Europäer verbissen – und gegen den starken Widerstand der Schwellenländer – um den Vorsitz kämpfen. Rasch und geeint wie sonst selten haben sie sich auf die französische Finanzministerin Christine Lagarde als „ihre“ Kandidatin geeinigt. Bis Ende Juni soll im Konsens aller 187 IWF-Mitgliedstaaten ein Nachfolger für Strauss-Kahn gefunden werden. Am gestrigen Montag hat das Rennen um den begehrten Posten offiziell begonnen.

Ein Drittel der Beiträge

Weil Europa nun selbst am Tropf hängt, geht es beim Chefposten um weit mehr als um Tradition. Seit der IWF 1947 in Funktion trat, stand stets ein Europäer an seiner Spitze. Dieses Gewohnheitsrecht sei legitim, argumentieren vor allem die Franzosen: In Summe sind die EU-Staaten mit einem Drittel des Kapitals die größten Beitragszahler, gefolgt von den USA mit etwa 17 Prozent.

Neu ist allerdings, dass Europa nun auch zum größten Nutznießer von IWF-Mitteln geworden ist. In vergangenen Krisen durften seine Steuerzahler vor allem lateinamerikanische und asiatische Pleitekandidaten aus der Bredouille holen, um die Weltwirtschaft in Balance zu halten. Mit einer IWF-Chefin aus den eigenen Reihen erhoffen sich die EU-Granden, sich in den Verhandlungen leichter zu tun. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel spricht es aus: Die Europrobleme seien der Grund, wieso sie sich für Lagarde starkgemacht hat. Olli Rehn sagt es mehr durch die Blume: Der nächste Chef des Währungsfonds „soll eine tiefgreifende Kenntnis der europäischen Wirtschaft mitbringen“.

Und der europäischen Politik, denkt er sich wohl heimlich dazu. Vor einer Verbrüderung von Politikern auf beiden Seiten des Verhandlungstisches warnt hingegen ein ehemaliger IWF-Chefökonom. Der Fonds sei nicht dafür da, dass man ihn liebt, schreibt Raghuram Rajan in der „Financial Times“. Seine bessere Rolle sei die des Sündenbocks, auf den sich die nationalen Politiker im Sparkorsett hinausreden können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.