Experte: "Wir alle sind schuld an Spaniens Krise"

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Rafael Pampillón ist einer der gefragtesten Experten für die spanische Wirtschaft. Er erklärt, wie sein Land zum gefährlichsten Problemfall der Eurozone wurde - und wie ein neues Wirtschaftsmodell aussehen könnte.

Die Presse: Über zehn Jahre lang war Spanien eine Erfolgswirtschaft, erzielte Budgetüberschüsse und überholte Italien beim Pro-Kopf-Einkommen. War das alles auf Sand gebaut?

Rafael Pampillón: Nein. Als wir 1999 den Euro einführten, waren wir tatsächlich in einer guten Position. Wir hatten dreimal hintereinander die Peseta abgewertet und waren wettbewerbsfähig. Der Staat hatte seine Unternehmen privatisiert – Telefonica, Repsol, Endesa, Iberia und so weiter – und damit seine Schulden zurückgezahlt. Noch zu Beginn der Krise 2008 hatten wir eine Schuldenquote von nur 35 Prozent des BIPs.

Aber heute liegt Spaniens Wirtschaft am Boden, und die Eurozone hat einen potenziellen Pleitekandidaten, der zweimal größer ist als Griechenland, Irland und Portugal zusammen. Wie konnte es dazu kommen?

Das ging so, der Reihe nach: Wir wachsen stark, dank der niedrigen Zinsen, die uns die EZB beschert, um Deutschland und Frankreich aus ihrer Schwächephase zu helfen. Das schafft acht Millionen Jobs – aber die meisten davon im Servicebereich und am Bau, mit geringer Produktivität und wenig Know-how dahinter. Die Hälfte geht an Migranten, die ins Land kommen. Sie brauchen Wohnungen. Es wird immer mehr gebaut, viele Jugendliche brechen ihre Ausbildung ab und gehen auf den Bau. Die Sparkassen vergeben billige Hypothekardarlehen an jedermann, weil der Wert der Immobilien als Sicherheit ja immer weiter steigt. Für alles gibt es Geld: das Haus, das Auto, die Erstkommunion der Tochter. Dann kommt die Krise, die Blase platzt. Die Immobilienentwickler zahlen ihre Kredite nicht zurück, die Banken übernehmen ihre Häuser, bleiben darauf sitzen oder verkaufen sie mit großen Verlusten. Eine Million neue Wohnungen stehen leer. 30 Prozent aller Bankfilialen sperren zu. Jetzt haben wir fünf Millionen Arbeitslose, und das wird sich lange nicht ändern.

Wer ist also schuld an der Misere?

Wir alle! In erster Linie die spanische Zentralbank als Aufsicht. Sie hätte den Sparkassen sagen müssen: Ihr habt zu viele Immobilien und Hypothekarkredite in den Bilanzen, das ist ein Klumpenrisiko, das müsst ihr reduzieren. Die Aufseher haben alles gesehen, aber nichts entschieden. Schuld sind auch die Sparkassen, die jedem einen Kredit gaben, der ihnen über den Weg lief. Schuld ist die öffentliche Hand, die es erlaubt hat, dass alles zubetoniert wird – aus Gier auf Steuereinnahmen. Ganze Küstenabschnitte wurden so zerstört. Und schuld sind wir alle, weil wir uns privat verschuldet haben. Als meine Frau zu arbeiten begonnen hat, haben wir das zusätzliche Geld ausgegeben und einen Kredit aufgenommen – statt für schlechtere Zeiten zu sparen.

Jetzt wächst die Wirtschaft viel zu langsam, und Spanien fehlt ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Wie könnte es aussehen?

Wir müssen mehr exportieren, das ist der Kern. Wir haben einige führende Unternehmen, die es vormachen: Die Banken Santander und BBVA expandieren in Südamerika und Asien. Mapfre ist der größte Versicherer in Lateinamerika. Die Hotelkette NH ist die viertgrößte Europas. Die Baukonzerne ACS und Acciona verkaufen weltweit Ingenieurleistungen. Aber das müssen wir auf eine breitere, stärker industrielle Basis stellen, und dazu brauchen wir Technologie und Patente. Also müssen wir mehr in Forschung und Entwicklung investieren. 1,3 Prozent des BIPs sind viel zu wenig. Wir haben gute Wissenschaftler. Aber die Hälfte davon arbeitet für den Staat und schreibt mit meinem Steuergeld Artikel für Fachzeitschriften. Das bringt Ruhm, sonst nichts. Die Unternehmen unterstützen sie nicht. Mit den Kapitalisten wollen sie sich nicht die Hände schmutzig machen. Es fehlt die Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft. Und wir müssen die Ausbildung verbessern, wir liegen im Pisa-Test ganz schlecht.

Das braucht Zeit. Die Arbeitslosen werden nicht warten, sie gehen schon jetzt auf die Straße...

Um die Arbeitslosigkeit zu senken, müssen wir das starre Arbeitsrecht reformieren. Stellen Sie sich vor, es gäbe fünf Millionen Flaschen in den Weinkellern Spaniens, die sich nicht verkaufen lassen. Was können sie tun? Den Preis senken, was sonst. Der Arbeitsmarkt funktioniert nicht, weil der Preis nicht stimmt. Der Mindestlohn bei fixen Anstellungen ist für unqualifizierte Jugendliche mit 900 Euro zu hoch, so wie die Arbeitslosenversicherung und die Abfertigungen. Und der Kündigungsschutz ist viel zu streng. Die Gewerkschaften merken gar nicht, welche Probleme sie schaffen, wenn sie eine Flexibilisierung verhindern.

In Griechenland, Irland und Portugal haben die Regierungen die Probleme noch geleugnet, als sie schon kurz vor dem Bankrott standen. In Spanien würden da auch die Medien mitspielen . . .

Spanien ist in einer sehr heiklen Situation. Die Regierung redet die Lage schön – eine falsche Strategie, die uns sehr schadet. Was die Zeitungen berichten, ist wahr, aber sie schreiben nicht alles, was sie wissen. Wenn ich Gastbeiträge schreibe, versuche ich, die Wahrheit zu sagen, ohne Panik zu verbreiten. Ich weiß: Das ist mein Land.

Wie sehen Sie die nähere Zukunft?

Nach der Schlappe bei den Regionalwahlen hat die Regierung keinen Rückhalt mehr. Die Sozialisten trauen sich nicht, Reformen anzugehen, weil sie noch größere Verluste bei den Parlamentswahlen in einem Jahr befürchten. Wir brauchen eine stabile neue Regierung – von welcher Partei auch immer –, die die nötigen Reformen in vier Jahren durchzieht. Die ersten sechs Monate sind eine Schonfrist der Gewerkschaften, da sind auch drastische Maßnahmen ohne Generalstreik möglich. Erst mit einem Wandel kommt das Vertrauen zurück. Das war 1933 in den USA bei Roosevelt so und 1979 mit Thatcher in Großbritannien. Die hatten ganz unterschiedliche Programme, aber der Effekt war der gleiche. Deshalb ist es unverantwortlich, dass Zapatero die Wahlen nicht vorverlegt hat. Wir halten zwar noch ein Jahr durch, aber es ist verlorene Zeit. Eine Katastrophe.

Warum hat Zapatero die Wahlen nicht vorverlegt? Er selbst tritt ja nicht mehr an.

Aus Parteikalkül. Die Sozialisten haben nur eine Hoffnung: dass die baskischen Terroristen ihre Waffen abgeben. Die ETA ist am Ende, das sind nur mehr 50 Leute, und eine Einigung ist nahe. Das wäre ein historischer Erfolg und würde den Sozialisten Stimmen bringen. Aber für einen Sieg dürfte auch das nicht mehr reichen. Die Krise ist zu tief.

Auf einen Blick

Rafael Pampillón ist Leiter der Wirtschafts- und Konjunkturanalyse
an der Business School „Instituto de Empresa“
in Madrid. Er studierte
an der Eliteschmiede IESE in Barcelona und in Harvard, schrieb über hundert Fachartikel und mehrere Bücher. Er beriet die spanische Politik bei der Privatisierung von Staatsbetrieben und ist als Analytiker der nationalen Wirtschaft in den spanischen Medien stark präsent. [Pampillón]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2011)

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