Geld und Finanzkrisen: Eine Welt aus Papier

(c) Erwin Wodicka
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Kaum jemand sucht im Geldsystem den Grund für Finanzkrisen. Dabei ist die Beweislast erdrückend. Immerhin erschaffen Zentralbanken Euro, Dollar, Yen und Pfund, soviel sie wollen.

Die Finanzkrise war den Menschen eine Lehre. Im Nachhinein wissen viele Bescheid über die Gründe für das Fiasko. Dass Banken Kredite vergeben haben an Personen, die sie nie zurückzahlen können, weil sie über kein Vermögen und kaum Einkommen verfügen. Und dass sie diese Kredite in Pakete verpackt und als „sicheres“ Investment weiterverkauft haben. Das Platzen dieser Kreditblase, so die allgemeine Meinung, hat die Krise ausgelöst. Aber kaum jemand fragt, was diese Kreditblase erst ermöglicht hat. Kaum jemand fragt nach dem Geldsystem.

Man stelle sich vor, ein Beamter klopft eines Tages bei der fiktiven Familie Schmidt aus Graz an. Er hat ein unglaubliches Angebot für die Schmidts: Sie dürfen von nun an selbst Euro-Noten drucken. So viele, wie sie wollen. Noch besser: Sie bekommen das Monopol auf die Euro-Herstellung. Die Familie kann ihr Glück kaum fassen und nimmt ihre neue Notenpresse dankend entgegen. Wie werden die Grazer mit ihrem Privileg umgehen? Zuerst sehr behutsam. Sie werden ihre Schulden bezahlen und ein paar Dinge kaufen, die sie sich vorher nicht leisten können. Aber sehr bald wird das Privileg den Familienmitgliedern zu Kopf steigen, sie werden die Notenpresse immer öfter einsetzen, um auch ihre Verwandten und Freunde mit frisch gedruckten Euro-Noten zu versorgen. Irgendwann gibt es kein Halten mehr: dann wird jede Ausgabe – und sei sie noch so unnötig – mit neuem Geld bestritten, das die Familie Schmidt praktisch aus dem Nichts geschaffen hat. Bald würden sich für die Schmidt-Euros keine Abnehmer mehr finden, weil jeder weiß, dass die Schmidts soviel Papiergeld drucken können, wie sie wollen. Das Geld wird wertlos.


„Es werde Geld.“ Nun ist es weit hergeholt, dass die Regierung dieses gewaltige Privileg irgendeiner Familie einräumen sollte. Das Geld-Monopol hat der Staat schon vor langer Zeit vergeben: an sich selbst. Die Republik Österreich hat es inzwischen wieder abgetreten: an die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt, die „Hüterin des Euro“. Die EZB stellt den Banken Zentralbankgeld oder auch „Basisgeld“ zur Verfügung. Das Bankensystem ist auf dieses Basisgeld zur Deckung des öffentlichen Bargeld- und Kreditbedarfs angewiesen.

Die EZB hat das Monopol zur Schaffung des Euro-Basisgeldes. Wie viel von diesem Geld erschaffen wird, entscheidet das Präsidium der EZB im Alleingang. Grenzen für diese Ausweitung der Geldmenge gibt es keine, die Zentralbank kann schaffen, so viel sie will. Willkommen in der Welt des ungedeckten Papiergeldes, auch Fiatgeld genannt. „Fiat“ ist lateinisch für „es werde“– wie bei „fiat lux“: Es werde Licht.

Auf deutsch ist das Zwangsgeld. Die Bürger haben keine Wahl: „Was der Staat befiehlt, ist Geld. So ist das heute“, sagt Guido Hülsmann, Professor an der Universität Anger in Frankreich. Bis vor 40 Jahren war dieses globale Geldsystem zumindest über Umwege noch an Gold gebunden, seit Jahrhunderten das Geld der Menschen. Warum Gold? Weil man es eben nicht so einfach vermehren kann. Und weil es – bis heute – überall auf der Welt als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Aber 1971 haben die Vereinigten Staaten die Eintauschbarkeit des Dollars in Gold beendet, weil zu viel Gold aus dem Land geflossen ist. Seit dem gibt es nur noch Papiergeld. Ein einmaliger Zustand in der Geschichte. Euro, Dollar, Franken, Yen, Pfund: eine Welt aus Papier.

„Aber dieses Geld funktioniert nicht. Es ist kein stabiles System, das wir haben. Dieses ungedeckte Papiergeld ist wahrlich die Wurzel allen Übels. Aber das wird bisher von allen übersehen“, sagt Guido Hülsmann. Er ist Biograf von Ludwig von Mises, dem wichtigsten Geldtheoretiker der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, deren Professoren und Studenten seit mehr als hundert Jahren auf die Nachteile von ungedecktem Geld hinweisen.


Mises – ein einsamer Kämpfer. Mises kämpfte nach dem Ersten Weltkrieg persönlich als Regierungsbeamter gegen die Inflation in Österreich – am Ende vergeblich. Anfang der 20er-Jahre endete das Kriegsschuldendebakel in einer Hyperinflation – die Menschen hatten das Vertrauen in die Währung verloren, weil die Zentralbank immer mehr davon druckte. „Auch damals konnten die Menschen sich gar nicht vorstellen, wie schnell Geld am Ende seinen Wert verlieren kann“, erzählt Hülsmann.

Die großen Finanzblasen der vergangenen 40 Jahre– und ihr unvermeidlich böses Ende– sind im Grunde auf das ungedeckte und unbegrenzt vermehrbare Papiergeld zurückzuführen. Nach einem Crash senken die Zentralbanken die Zinsen, das frische Geld wird billiger – und feuert die nächste Blase an. Fiatgeld hat aber noch andere Folgen als nur Instabilität. Es ist eine der mächtigsten Umverteilungsmaschinen, die die Welt je gesehen hat. Denn dieses Geld wird von Zentralbanken im Zusammenspiel mit den großen Geschäftsbanken und den Regierungen in die Welt gesetzt. Diese Aufblähung der Geldmenge ist Inflation, steigende Preise ein Symptom davon. „Dieses System kommt wenigen Leuten zu Gute, die das Geld zuerst bekommen“, sagt Hülsmann. „Also den Bankern und Politikern.“ Denn diese Menschen gehen mit dem frisch gedruckten Geld zuerst einkaufen und bezahlen noch die „alten“ Preise. Erst wenn sie das Geld ausgeben, steigen die Preise, weil mehr Geld hinter denselben Waren her ist. Dieser Mechanismus beraubt die Masse ihrer Kaufkraft, weil die Löhne erst nach den Preisen steigen. „Fiatgeld ist ein wesentlicher Faktor, warum die Vermögensspanne in den letzten 40 Jahren so weit auseinandergegangen ist. Und die Inflation ist nichts anderes als eine versteckte Steuer“, sagt Hülsmann.

Systeme wie das aktuelle wurden immer wieder versucht – und sie sind immer wieder gescheitert. Meistens ging dieses Scheitern für das Volk mit einem großen Vermögensverlust einher. Zu den berühmtesten Beispielen zählen die Assignaten. Ein Papiergeld, das der Engländer John Law im Frankreich der Revolution ausgab – weil er die Herrschenden davon überzeugen konnte, dass sein es alle Probleme Frankreichs lösen könne. Das Experiment endete nach weniger als fünf Jahren in einer Hyperinflation, Law wurde aus dem Land gejagt. Ähnliches erlebten die Deutschen und Österreicher nach dem Ersten Weltkrieg. Der bleibende Eindruck der Hyperinflation in der Weimarer Republik ist ein Grund, warum die D-Mark immer eine relativ harte Währung war. Die Bundesbank ließ sich kaum zur Finanzierung von staatlichen Defiziten durch die Druckerpresse verleiten.


Unübersehbare Risse. „Die Loslösung des Geldsystems vom Gold war sicher die folgenreichste Entscheidung“, sagt Philipp Bagus, Assistenzprofessor an der König-Juan-Carlos-Uni in Madrid und Autor des Buches „Die Tragödie des Euro“, das im September auf Deutsch erscheinen wird. „Es gibt einfach keine Grenze des Geldmengenwachstums – wir sind völlig vom Willen der Regierenden abhängig.“ Bagus, Hülsmann und viele andere Ökonomen der Österreichischen Schule warnen seit 2008 immer wieder, dass die „Rettungspakete“ und „Bailouts“, die in der westlichen Welt derzeit geschnürt werden, irgendwann in der Hyperinflation enden könnten – weil auch sie aus frisch gedrucktem Geld bestehen.

„Ein Großteil der Staatsschulden wird durch Gelddrucken finanziert – mit Umweg über das Bankensystem“, sagt Bagus. Vor allem eine neue Krise wäre gefährlich, weil sie die Zentralbanken veranlassen könnte, alle Hemmungen beim Gelddrucken fallen zu lassen. Der 1973 verstorbene Ludwig von Mises schrieb in seinem Hauptwerk „Human Action“: „Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur, ob die Krise durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems.“ Von einer freiwilligen Aufgabe der Kreditexpansion ist Mitte 2011 nichts zu sehen. Im Gegenteil.

Die Risse im globalen Währungsspiel sind nicht zu übersehen. Die Dominanz des Dollars geht zu Ende, und das US-Geld läuft Gefahr, seine Rolle als Weltleitwährung zu verlieren. China, Russland, Indien und Brasilien lassen kaum eine Gelegenheit aus, um ihren Unmut über die Gelddruckpolitik der Amerikaner kundzutun – und kaufen Gold für ihre Reserven.

Die Europäer haben dank der Euro-Krise ihre eigenen Probleme, als Dollar-Alternative ist der Euro im Moment abgemeldet. In der westlichen Welt gibt es nur einen bekannten Politiker, der die Zentralbanken abschaffen und den klassischen Goldstandard wieder einführen will: den republikanischen US-Abgeordneten Ron Paul. Er hat kürzlich angekündigt, 2012 gegen Präsident Barack Obama antreten zu wollen. Rückendeckung für Paul kommt ausgerechnet aus Zimbabwe, wo von 2004 bis 2009 die letzte Hyperinflation stattfand. Damals druckte die Zentralbank sogar Banknoten mit einem „Wert“ von einer Milliarde Zimbabwe-Dollar.

Geholfen hat es nichts, auch diese Scheine waren schnell wertlos. Nun scheint die Zentralbank gelernt zu haben. Ihr Präsident Gideon Gono sagte Mitte Mai: „Wir müssen jetzt ernsthaft darüber nachdenken, den Goldstandard wieder einzuführen.“ Begründung: Die Tage des US-Dollar und des aktuellen Geldsystems seien gezählt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2011)

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