Klau: "Man muss die Europäische Zentralbank loben"

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Symbolbild(c) EPA (KARL-JOSEF HILDENBRAND)
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Thomas Klau erlebte 1998 hautnah, wie Europas Politiker aus Starrsinn beinahe den Euro verhindert hätten. Im "Presse"-Gespräch erklärt er, wieso die Europäische Zentralbank (EZB) in der Griechenkrise recht hat.

Die Presse: Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte politisch unabhängig sein und einzig die Teuerung im Auge haben – und steckt jetzt mitten im politischen Grabenkampf um die griechischen Staatsschulden. Was ist da schiefgelaufen?

Thomas Klau: Ich würde bestreiten, dass „schiefgelaufen“ die Realität der Rolle der EZB in dieser Eurozonen-Krise zutreffend beschreibt. Es ist richtig, dass der primäre Auftrag der EZB die Geldwertstabilität war und nicht wie zum Beispiel bei der Federal Reserve die Förderung des Wirtschaftswachstums. Aber es hat sich gezeigt, dass in dem entscheidenden Zeitpunkt, wo aus der Krise des transatlantischen Finanzkapitalismus die Eurozonen-Krise entstand, die EZB die einzige handlungsfähige und handlungsbereite Institution war, um einer dramatischen Verschärfung der Lage zeitweilig eine entschlossene wirksame Politik entgegenzusetzen. Natürlich hat der Aufkauf von Obligationen aus Staaten wie Griechenland die EZB jetzt in eine Lage gebracht, die man vor sechs, sieben Jahren nicht für denkbar gehalten hätte. Und diese Lage ist unmittelbar mit ihrem Primärmandat der Inflationsbekämpfung nicht verknüpft. Nur: Man muss die EZB dafür loben, dass sie zu einem Zeitpunkt in diese Bresche gesprungen ist, wo die Staats- und Regierungschefs nicht in der Lage waren, schnell genug den Ernst der Lage zu erkennen und aus dieser Erkenntnis wirksame Antworten zu entwickeln – und zwar unter der hervorragenden Führung von Jean-Claude Trichet.

Auch wenn die EZB damals richtig handelte, ist sie jetzt Partei. Glauben Sie, dass sie ohne Eigeninteresse die ökonomisch beste Lösung unterstützt?

Klar hat sich die EZB jetzt dem Verdacht ausgesetzt, dass sie von einem unparteiischen Akteur zu einem direkt betroffenen und damit von Interessen geleiteten geworden ist. Nur: Die Gefahr dieses Verdachts ist eine unvermeidbare Konsequenz aus dem richtigen ersten Schritt, den sie gegangen ist. Wenn die EZB davor warnt, das Wort „Restrukturierung“ nicht leicht in den Mund zu nehmen und nicht der Illusion zu erliegen, dass das ein ökonomisch und politisch kostenfreier Schritt wäre, dann vertritt sie eine Position, die meines Erachtens inhaltlich völlig stringent ist. Dass es ein großes Fragezeichen gibt betreffend der Fähigkeit Griechenlands, seine Schulden zu bedienen und den Schuldenberg abzubauen, ist klar. Aber andererseits ist die Aussage, dass man einfach hoppla-hopp in Griechenland restrukturiert und damit das Problem gelöst hat, zumindest sehr, sehr leichtfertig – angesichts der fortbestehenden Fragilität des Finanzsystems und der immensen Nervosität an den Finanzmärkten hinsichtlich der Lage in Irland, in Portugal, aber auch in Spanien. Unter Umständen ist es ratsamer und weniger riskant, neue europäische Bürgschaften bis hin zu Transfers zu gewähren, als das Risiko eines Schocks durch eine Restrukturierung einzugehen, die nicht parallel durch stärkere EU-Solidarhaftung eingerahmt ist. Man darf zudem nicht vergessen, dass ein Teil der Leute, die jetzt die EZB attackieren, jene Leute sind, die sich strikt gegen weitere Transfers an die Not leidenden Staaten im Süden wenden. Insofern sind auch diese Angriffe auf die EZB ganz klar von Interessen geleitet. Hinter einem Teil dieser Kritik steckt auch die Weigerung zu akzeptieren, dass der Euro eine Solidargemeinschaft und einen Solidarzwang geschaffen hat, weil es immer um die Stabilität des Ganzen geht.

In welche Richtung geht es jetzt mit der Eurozone: Richtung dauerhafter Transferunion oder Umschuldung von Not leidenden Staaten wie Griechenland?

Man darf eines nicht vergessen: Das polemische Schlagwort einer „Transferunion“, die Politiker in Deutschland oder den Niederlanden abwehren wollen, ignoriert völlig die Tatsache, dass die EU von Anbeginn an als Transferunion konzipiert und praktiziert wurde. Was ist die gemeinsame Agrarpolitik anderes als Transferpolitik? Was sind die Kohäsionsfonds, die später dazu kamen, anderes als Transfers? Der Gedanke, dass die reicheren Regionen den schwächeren helfen, gehört zum Gründungspakt des europäischen Gemeinschaftsgedankens, und es ist ein Skandal, dass deutsche, niederländische und andere Politiker dieses in einer atemberaubenden Verkehrung der historischen Tatsachen schlichtweg leugnen.

Eine Transferunion würde aber auch eine Art gemeinsames Finanzministerium für Europa erfordern, wie es EZB-Präsident Trichet am Donnerstag in Aachen bei der Annahme des Karlspreises vorgeschlagen hat. Bei derselben Veranstaltung haben mehrere führende Politiker diese Vision als derzeit politisch nicht machbar abgetan.

Wenn sich für vernünftige Politiken keine Mehrheiten finden, müssen vernünftige Leute für diese vernünftigen Politiken kämpfen. Das ist der Auftrag an jeden verantwortungsvollen Politiker. Kämpfen heißt, zu erklären und Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Eurokrise hat jedem Bürger klar gemacht, dass das Wohnen in der Eurozone nicht wie das Wohnen in einer Straße mit Reihenhäusern ist, wo jeder seinen kleinen abgeschlossenen Garten hat. Sondern es ist wie in einem Apartmenthaus: Wenn da oben die Badewanne überläuft, wird es bei allen feucht. Es ist zugleich klar, dass somit in der Eurozone nicht jede Regierung ihre Budget- und Wirtschaftspolitik in totaler Souveränität, nach eigenem Gusto gestalten kann. Sondern das muss geregelt werden, und zwar über eine effiziente, durchgreifende, gestaltende und regulierende Koordination. Wenn aber das Orchester mit 27 Solisten nicht zu managen ist, weil der Dirigent nicht genug Macht hat, muss man ihn mit entsprechender Macht ausstatten oder einen zentralen Fonds schaffen, mit dem Krisen gelöst werden.

Wieso haben Politiker solche Probleme mit Notenbankern? Schon der Stapellauf des Euro beim EU-Gipfel am 2.Mai 1998 ging fast daneben, als Frankreichs Präsident Chirac grollte: „Meine Herren, wir erleben live das Ende der Demokratie. Wir sind unter die Kontrolle der Notenbanker geraten, die uns die Regeln vorgeben.“

Die Staats- und Regierungschefs sind eine sehr machtbewusste Spezies – sonst wären sie nicht da, wo sie sind. Zentralbanker sind in der Regel für einen längeren Zeitraum berufen und unabhängig: Das ist ja das Ziel der ganzen Zentralbankordnung, die wir sinnvollerweise entwickelt haben. Sie verfügen über eine gewaltige Macht und müssen sich keinem Wähler stellen. Das macht die Regierungschefs sehr sensibel für deren Kritik und leicht reizbar. Aber gerade in einer Lage, wo es zu viele Politiker in Europa gibt, denen entweder die Einsicht fehlt, dass die beste Stabilitätswette der Schritt in weitere europäische Integration ist, oder der Mut es zu sagen: Ja, da ist es besonders zu begrüßen, dass Zentralbanker wie Jean-Claude Trichet auch gegenüber der Öffentlichkeit einige wichtige Wahrheiten formulieren.

Zur Person

Thomas Klau leitet das Pariser Büro des European Council on Foreign Relations. Für die „Börsen-Zeitung“ erlebte der Deutsche, der später die „Financial Times Deutschland“ mitbegründete, die Geburt des Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2011)

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