Zentralasiens braucht keine Revolutionen zu fürchten

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Aufgrund stabiler Verhältnisse findet etwaiger Unmut gegen die Herrscher keinen Weg, sich zu bündeln und zu äußern.

Wien. Offiziell hat es Kasachstan immer dementiert. Die dortige Opposition sowie Zentralasien-Experten aber waren sich in ihrer Deutung doch weitgehend einig: Dass der 70-jährige Langzeitpräsident Nursultan Nasarbajew den Vorschlag für ein Referendum zur Amtszeitverlängerung bis 2020 zu Jahresbeginn zurückgewiesen und stattdessen die Präsidentenwahlen um eineinhalb Jahre auf April 2011 vorverlegt hat – um sich letztlich mit mehr als 95 Prozent der Stimmen im Amt bestätigen zu lassen – hatte ziemlich sicher mit den Revolutionen in Nordafrika zu tun.

Eben erst war die tunesische Herrscherfamilie Ben Ali gestürzt worden, Ägyptens Präsident Hosni Mubarak stand unmittelbar vor dem Fall. Da wollte auch die Familie Nasarbajew sichtlich auf Nummer sicher gehen, zumal das Szenario einer Übergabe der Macht auch 20 Jahre nach ihrer Ergreifung selbst innerhalb der Familie nicht festzustehen scheint.

Kirgisisches Modell machte nicht Schule

Es ist nicht das erste Mal, dass die zentralasiatischen Autokraten à la Nasarbajew hellhörig werden und etwa wie im Fall Usbekistans sicherheitshalber Verfassungsänderungen vornehmen lassen. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft nämlich, dem kleinen Kirgisistan, hatte die Bevölkerung 2005 das Regime gestürzt. Aber selbst das Modell der Nachbarschaft machte keine Schule, zumal die kirgisischen Revolutionsführer die Revolution verraten hatten. Im April des Vorjahres startete die unzufriedene Bevölkerung Kirgisistans dann einen neuen Versuch, der zu ethnischen Zusammenstößen mit hunderten Toten ausartete, letztlich aber doch zu merklichen Fortschritten bei der Etablierung einer parlamentarischen Demokratie in dem Land führte.

In den restlichen vier Stan-Staaten will man derartige Experimente erst gar nicht aufkommen lassen. Und weil man die potenzielle Opposition schon sehr früh marginalisiert hat, findet jenes unterschiedlich große Ausmaß an Unmut keinerlei Kanal, sich zu bündeln und zu äußern. Das ist im relativ offenen Kasachstan nicht anders als im diktatorischen Turkmenistan.

Im autoritären Tadschikistan wiederum schreckt die Bevölkerung selbst wegen der Erinnerung an den Bürgerkrieg zu Beginn der 90er-Jahre vor Aufständen zurück. Und im repressiven Usbekistan wurde mit der Niederschlagung der Unruhen 2005 und der Erschießung hunderter Demonstranten jenes Exempel statuiert, das ähnliche Versuche für die nächste Zukunft unwahrscheinlich macht.

Omnipräsenz der Geheimdienste

Der von der Zeitung „Wall Street Journal“ erstellte „Protestindex“, auf dem die zentralasiatischen Länder unter 85 untersuchten Staaten unter den Top 30 hinsichtlich Revolutionspotenzial gereiht sind, greift daher mit seinen Kriterien der sozialen Ungerechtigkeit, der Widerstandsbereitschaft und des Armutsfaktors zu kurz. Zumindest in Kasachstan sickern die Einnahmen aus den Rohstoffexporten bis unten durch, aber auch in Turkmenistan verbinden die Leute mit dem relativ jungen „Thronfolger“ Gurbanguly Berdymuchammedov Hoffnung auf Besserung. Und in den anderen Stan-Staaten ist die Omnipräsenz von Geheimdienst und Sicherheitskräften als hemmender Faktor nicht zu unterschätzen.

Gewiss: Der Grad an Clanbildung, Nepotismus, Korruption, Inflation, Zensur und Monopolisierung der ertragreichsten Wirtschaftssektoren durch die Eliten sind in allen zentralasiatischen Staaten der Dauernährboden für potenzielle Proteste.

Misstrauen gegenüber Dissidenten

Aber der Grad der politischen Aufklärung ist niedrig, die Popularität der nationalen Führer dementsprechend hoch, das Misstrauen Dissidenten gegenüber ebenso. Die Tradition der politischen Partizipation ist mit Ausnahme Kirgisistans nirgends entwickelt. Das Mobilisierungspotenzial der Medien bleibt aufgrund der geringen Internetverbreitung beschränkt. Die meisten Herrscher nützen das Bedürfnis nach einem neuen Patriotismus in den relativ jungen Staaten. Und auch der Westen ist am relativ stabilen Status quo seiner potenziellen Energielieferanten interessiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2011)

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