„Gott sei Dank brauchen wir Russland nicht“

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Georgiens Außenminister im Interview, über russischen Terror und die Westorientierung seines Landes.

Die Presse: Beim Weltwirtschaftsforum in Wien stehen die ökonomischen Perspektiven für Zentralasien und die Schwarzmeerregion im Vordergrund. Kann es ohne Demokratie eine stabile wirtschaftliche Entwicklung geben?

Grigol Waschadse: Ohne Demokratie ist Georgien nicht regierbar. Und ein unregierbares Land kann auch keine starke wirtschaftliche Entwicklung haben. Deshalb haben wir uns 2003 für den schwierigen Reformweg entschieden. Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele ...

... das autoritär regierte China etwa oder Kasachstan ...

Ich möchte deren Modell nicht kommentieren. Aber diese Regierungen sitzen auf einem Pulverfass, das früher oder später explodieren wird. Eine Gesellschaft mit freien Märkten ist letztlich nur mit Demokratie kompatibel.

Die Demokratie in Georgien scheint auch nicht gerade perfekt zu sein. Unlängst gab es wieder Unruhen. War es nötig, dass die Polizei mit Gewalt gegen ein paar Demonstranten vorging?

Genossin Nino Burjanadze, die bei Wahlen nur ein Prozent erhielt und statt der angekündigten 60.000 am letzten Tag nur 500 Demonstranten auf die Straße brachte, hatte es von Anfang auf Unruhen angelegt. Es war eine gezielte Provokation. Ihre Versammlung war nur bis Mitternacht des 25.Mai genehmigt. Am nächsten Tag fanden dort nämlich die großen Unabhängigkeitsfeiern statt.

Sie nannten Burjanadze vorhin „Genossin“, um ihre Verbindungen zu Russland zu betonen. Versucht Russland, Georgien zu destabilisieren?

Absolut. Wir haben jüngst die Anschläge Nummer neun und zehn verhindert. Die Terroristen wurden von Russland ausgebildet und finanziert. Von ihren zehn Attentaten klappten zwei. Ein Sprengsatz detonierte nahe einer Parteizentrale, eine Frau starb. Eine zweite Bombe explodierte 150 Meter von der US-Botschaft entfernt. Die US-Behörden stehen vor Abschluss ihrer Untersuchung.

Sie sagen also, Russland steckt hinter den Terroranschlägen.

Wir haben Beweise. Unter anderem die Sprengsätze, die auf einem sehr professionellen Niveau hergestellt wurden. Mit dem Ziel, möglichst viele Menschen zu töten.

Am Ende wird sich Georgien wirtschaftlich und politisch wohl nur weiterentwickeln können, wenn es seine Beziehungen zu Russland normalisiert. Haben Sie einen Plan dafür?

Mit Verlaub: Es ist ein Irrtum zu glauben, Russland sei wichtig für Georgien. Weder importieren wir aus Russland, noch exportieren wir nach Russland. Das Einzige, was uns verbindet ist der elektrische Strom, den Georgien an Russland verkauft.

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Meinen Sie nicht, dass es Georgien besser ginge mit normalisierten Beziehungen zu Russland?

Natürlich, aber nicht auf Kosten unserer nationalen Interessen. Russland hat 2006 ein Embargo verhängt mit dem Ziel, unsere Wirtschaft zu zerstören. Ich möchte den Russen dazu gratulieren, dass sie damit unsere Wirtschaft trainiert haben. Wir exportieren Strom in alle Nachbarländer, wir haben ein Wirtschaftswachstum von mehr als sechs Prozent und ein Budgetdefizit von nur drei Prozent. Heuer erwarten wir bis zu 3,5 Millionen Touristen. Gott sei Dank brauchen wir Russland nicht. 70 Prozent der Geschäfte in Russland sind Kickback-Geschäfte. Russland kann uns entweder als unabhängigen souveränen Staat behandeln oder versuchen, uns wieder in ihre „Zone privilegierter Interessen“ ziehen. Und das wollen wir nicht.

Wenn Sie Russlands Außenminister Sergej Lawrow treffen könnten, was würden Sie ihm sagen?

Ich würde ihm sagen: Es ist höchste Zeit für einen Dialog, um unsere Probleme zu lösen. Der derzeitige Status quo ist für alle inakzeptabel.

Irgendeine Idee, wie Georgien die von Russland als eigene Staaten anerkannten Provinzen Südossetien und Abchasien zurückbekommt?

Indem wir einen friedlichen Wettbewerb der Wirtschaftssysteme gewinnen, so wie damals die Bundesrepublik gegen die DDR. Indem wir bessere Schulen, bessere Flughäfen, bessere Infrastruktur, ein besseres Gesundheitssystem und ein besseres politisches System anbieten als Russland.

Das klingt eher nach einem langfristigen Projekt.

Georgien existiert seit 3000 Jahren. Wir haben gelernt, mit Besatzern umzugehen.

Georgien kämpft mit Armut und Arbeitslosigkeit. Ist es da wirklich nötig, Geld für ein neues Parlamentsgebäude auszugeben?

Das alte Parlament in Tiflis wurde bekannten Investoren verkauft, die darin einen Hotel-Business-Komplex errichten wollen. Wir verdienen mit dem Verkauf doppelt so viel, wie der Bau des neuen Gebäudes in Kutaisi kostet.

Wie groß ist die Gefahr eines neuen Krieges mit Russland?

Russland hätte die militärischen Mittel dafür, aber derzeit nicht das notwendige politische Umfeld für einen weiteren Krieg gegen Georgien.

Dem Ziel einer Nato-Mitgliedschaft ist Georgien durch den Krieg 2008 nicht unbedingt nähergekommen.

Wir arbeiten hart dran: Glauben Sie mir, wir werden Nato-Mitglied.

Sehen Sie Unterschiede zwischen Premier Putin und Präsident Medwedjew?

Nein. Putin ist der absolute Regent Russlands. Er bestimmt über alle politischen, finanziellen, militärischen und legislativen Fragen.

Stimmen die Gerüchte, dass Präsident Saakaschwili nach dem Vorbild Putins ins Amt des Premiers wechseln wird?

Ob der Präsident eine Kandidatur als Premier erwägt, kann keiner sagen, nicht einmal der Präsident selbst. Diese Fragen beantworten wir nicht. Es ist noch ein weiter Weg bis 2012.

Auf einen Blick

Grigol Waschadse (geb. 1958) ist seit 2008 Außenminister Georgiens. Er begann seine Karriere 1981 im sowjetischen Außenministerium. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging er zunächst in die Privatwirtschaft und gründete zwei Unternehmen. [Teresa Zötl]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2011)

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