Mikrokredite wirken anders als gedacht

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Der erhoffte Effekt, höhere wirtschaftliche Aktivität vor allem von Frauen, stellt sich nicht ein. Dafür zeigt sich ein unerwarteter. Das Geld stabilisiert Haushalte.

Etwa die Hälfte der Erwachsenen der Erde, 2,5Milliarden Menschen, hat weder ein Bankkonto noch Zugang zu anderen Finanzdienstleistungen wie Mikrokrediten, das sind die Gelder für Geschäftsgründungen in den Armenhäusern der Welt – meist unter 500Dollar –, die in den letzten Jahren große Hoffnungen geweckt haben: Mit ihnen ließe sich der Armut und ihrem auch psychischen Elend entkommen, das gelte insbesondere für Frauen. Einer der Vorkämpfer, Muhammad Yunus, Gründer der Granmeen Bank in Bangladesch, erhielt 2006 den Friedensnobelpreis; viele Entwicklungsinstitutionen haben sich der Idee angeschlossen, derzeit sind rund um die Erde 190Millionen Dollar vergeben.

Aber halten sie ihr Versprechen? Oder täuschen die verbreiteten Erfolgsgeschichten insofern, als das Geld nicht generell als Ausstiegshilfe aus der Armut wirkt, sondern nur besonders motivierte Menschen anzieht – die Unternehmensfreudigen? Um diesen verzerrenden Effekt („bias“) auszuschließen, haben die US-Ökonomen Dean Karlan (Yale) und Jonathan Zimmermann (New Haven) sich mit einer Mikrokreditbank auf den Philippinen zusammengetan und nur unter Motivierten ausgewählt, unter 1601Kreditwerbern, die in einem Vorverfahren als „marginal kreditwürdig“ eingestuft worden waren: 1272 von ihnen erhielten einen Kredit – im Durchschnitt 225 Dollar für drei Monate zu 2,5Prozent Monatszins –, 329 nicht.

Mehr Geld, weniger Aktivität

Elf Monate später wurden beide Gruppen befragt, und das nun im Wissenschaftsjournal „Science“ publizierte Ergebnis war für die Forscher „überraschend“: Die Kreditprivilegierten hatten ihre ökonomischen Aktivitäten nicht verstärkt, sondern leicht gemindert, sie hatten auch weniger bezahlte Mitarbeiter als zuvor; zudem fühlten sie sich subjektiv nicht wohler, im Gegenteil, vor allem die Männer klagten über mehr Stress; und die Frauen profitierten nicht überproportional.

Damit werden die offiziellen Zwecke der Mikrokredite verfehlt. Aber ein ganz unerwarteter stellte sich ein: Die Mikrokredite geben den Familien mehr Sicherheit, sie puffern in Notlagen, Teile von ihnen gehen in ärztliche Versorgung, andere in Schulgeld etc.

Zu ähnlichen Befunden kamen schon frühere Studien: In Bangladesch und Indonesien zeigte sich, dass nur rund die Hälfte des Geborgten in Betriebsaktivitäten geht. „Einfachere Zugänge zu Geld werden für sich allein nicht helfen, die Armut loszuwerden, aber sie können Stabilität und Liquidität in Familien bringen, die an der Grenze leben“, erklärt Jonathan Murdoch (New York University): „Es sieht so aus, als wäre diese Hilfe für arme Familien die wahre große Idee hinter den Mikrokrediten, auch wenn das nicht die große Idee ist, die sie beförderte.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2011)

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