Joschka Fischer: „Es geht um fast alles“

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Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer fordert Entschlossenheit in der „existenzbedrohenden politischen Krise“.

Wien. In unregelmäßigen Abständen meldet sich der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer (Grüne), meist zu Belangen der deutschen Außenpolitik, zu Wort. Am Tag der Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament über die politische Zukunft von Ministerpräsident Giorgos Papandreou veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ ein flammendes Plädoyers Fischer an die Regierungschefs der Eurozone, entschlossen aufzutreten. Denn es ginge „um fast alles“.

„Es geht seit damals nicht nur um Griechenland, sondern um sehr viel mehr: Es droht ein von der ungeordneten Insolvenz Griechenlands ausgehender Schneeballefffekt, der weitere Länder der südlichen Peripherie der EU, darunter auch sehr große, und damit systemrelevante europäische Banken und Versicherungen mit in den Abgrund reißen wird; es droht in der Folge davon eine erneute Krise des Weltfinanzsystems mit einem erneuten weltwirtschaftlichen Schock wie im Herbst 2008.“

Fischer kritisiert „mangelnde Entschlossenheit, Zögerlichkeit, nationale Egoismen und ein dramatisches Führungsdefizit“ in der EU und ihren „wichtigsten Mitgliedstaaten“. „Auch Staaten können pleitegehen, aber anders als Unternehmen verschwinden sie danach nicht. Sie bleiben. Und man sollte deshalb Staaten weder bestrafen noch ihre fortgeltenden Interessen unterschätzen.“ Statt „Bestrafung“ empfehle es sich, zahlungsunfähigen Staaten Hilfe zur Neustrukturierung zu gewähren, meint Fischer.

Die EU solle daher gemeinsam mit der griechischen Regierung eine „Wiederaufbaustrategie“ für die Realwirtschaft und die staatlichen Strukturen und deren Finanzierung entwickeln. „Jeder weiß, dass Griechenland sich ohne eine massive Entschuldung nicht aus seiner Krise wird herausarbeiten können.“ Die Frage sei nur, ob dies „geordnet und kontrolliert“ geschehe oder „mit chaotischen Konsequenzen weiter über Griechenland hinaus“.

„Bevölkerung reinen Wein einschenken“

Die Regierungschefs der Eurozone müssten den Bevölkerungen reinen Wein einschenken, so Fischer weiter. „Die Finanzkrise ist eine politische Krise.“ Man habe zu Beginn des Jahres 2009 die Chance verpasst, das Finanzsystem neu aufzustellen. „Die europäische Finanzkrise wird sich weiter voranfressen und die EU destabilisieren, wenn die existenzbedrohende politische Krise der EU nicht beantwortet wird.“

Entweder wolle man den Euro erhalten, oder man müsse ihn „rückabwickeln“. Europa würde dann „nahezu alles verlieren, was es an Integrationsfortschritten“ erreicht hat, und sich in ein „Europa der Renationalisierung“ zurückentwickeln. „Dies wäre angesichts der entstehenden neuen Weltordnung eine Tragödie.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2011)

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