Griechen wollen keine weiteren Opfer bringen

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Vertrauensabstimmung wurde erneut von Straßenprotesten begleitet. Die Schuldenkrise hat sich zu einer gesellschaftlichen Krise ausgeweitet. In der Bevölkerung nimmt die politische Orientierungslosigkeit zu.

Athen. Das an Überraschungen nicht arme griechische Schuldendrama ging gestern, Dienstag, einem neuen Höhepunkt entgegen: Der sozialistische Ministerpräsident Giorgos Papandreou stellte sich in der Nacht einer Vertrauensabstimmung. Für tausende Demonstranten, die vor dem Parlamentsgebäude am Athener Syntagma-Platz erneut gegen den Sparkurs der Regierung protestierten, stand aber bereits vor der Abstimmung fest: Papandreou muss jedenfalls weg. Sie versuchten sogar die Zufahrtswege zum Parlament zu blockieren.

„Papandreou verdient genauso wenig das Vertrauen der Griechen wie irgendein anderer Politiker“, sagt der 21-jährige Student Apostolos Markoulis, der seit drei Wochen in einem der Dutzenden Zelte campiert. „Das politische System ist am Ende, es muss einen radikalen Wandel geben“, meint Markoulis. „Direkte Demokratie“, sagt der junge Mann. Aber was das bedeutet, kann er nicht erklären.

Die gegenwärtige Krise zeigt: Es gibt in Griechenland keine Kultur des politischen Konsenses mehr. In der Folge nimmt die Orientierungslosigkeit breiter Bevölkerungsgruppen zu. Jede Partei, jeder Spitzenpolitiker verfolgt seine eigene, engstirnige Agenda. Dabei braucht das Land gerade jetzt eine handlungsfähige und möglichst breit aufgestellte Regierung. Denn nur wenn das Parlament bis Anfang Juli das neue Spar- und Privatisierungspaket verabschiedet, werden EU und Internationaler Währungsfonds die nächste Rate der Hilfskredite überweisen.

Die Schuldenkrise in Griechenland wird immer mehr zu einer Krise des gesamten politischen Systems. Ausgerechnet im Mutterland der Demokratie verlieren die Menschen das Vertrauen in die Politiker, die Parteien und das Parlament. Würde nächsten Sonntag gewählt, bekäme keine der beiden großen Parteien eine regierungsfähige Mehrheit.

Entbehrungen, die nicht wirken

Ein Land in tiefer Depression, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch mental: Dieses Bild zeigt das jüngste Politbarometer, eine allmonatliche Umfrage des griechischen Meinungsforschungsinstituts Public Issue. Im Vergleich zu früheren Erhebungen verzeichneten die Demoskopen im Juni eine rapide Verschlechterung der Stimmung. Sahen noch im Januar 69 Prozent der Befragten ihr Land „auf dem falschen Weg“, so sind es nun bereits 87 Prozent. Mehr als sieben von zehn Befragten fürchten, dass sich ihre persönliche wirtschaftliche Lage in den nächsten Monaten weiter verschlechtern wird. Und fast neun von zehn Griechen sind „unzufrieden damit, wie die Demokratie funktioniert“.

Die miserable Stimmung kommt nicht von ungefähr. Während die Regierung immer neue Sparkonzepte entwirft, Ausgaben zusammenstreicht, Pensionen kürzt und Steuern erhöht, ist kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. Die Griechen bringen Opfer, aber die Entbehrungen bewirken nichts.

Im ersten Quartal schrumpfte die Wirtschaftsleistung um 5,5 Prozent – erwartet hatten die Analysten ein Minus von 4,8 Prozent. Der Konsum ging um fast sieben Prozent zurück, die Investitionen sogar um 19 Prozent. Alarmierend ist vor allem die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosenquote stieg im März auf 16,2 Prozent. Unter den 15- bis 24-Jährigen sind bereits 42,5 Prozent ohne Arbeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22. Juni 2011)

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